Das große Schweigen oder die Einsamkeit der kindlichen Seele

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jenvo82 Avatar

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Vom schwedischen Schriftsteller Alex Schulman habe ich bereits seinen Erfolgsroman "Die Überlebenden" gelesen und bin mit einer gewissen Erwartungshaltung nun an die Lektüre seines neuen Romans herangetreten. Da ich ein Faible für Familiengeschichten habe, gerne auch solche, bei denen nicht alles eitel Sonnenschein ist, konnte ich mit dieser doch eher deprimierenden Story durchaus etwas anfangen. Dennoch bleibt hier vieles Ungesagt, schwebt mehr im Hintergrund als in der tasächlichen Handlung und behält dadurch eine recht große Distanz zum Leser.

Meinung

Die Struktur der Erzählung empfand ich als gelungen, denn mit den klar definierten Erzählstimmen und einer überschaubaren zeitlichen Abfolge, weiß man sofort, wer hier über welchen Zeitpunkt in seinem Leben schreibt und wie der entsprechende Tenor sein wird. Alle drei Erzähler sind miteinander verwandt, sie sitzen im selben Zug und wollen an den gleichen Ort, nur zu ganz unterschiedlichen Zeiten in ihrem Leben und tragen deshalb anderes seelisches Gepäck mit sich. Der Schreibstil ist klar, objektiv und aussagekräftig - ein Roman welcher sich gut liest und in den man leicht hineinfindet.

Das grundlegend deprimierende an dem Text stellt das Unvermögen der Erzählenden dar, die auf der Suche nach einer Zuflucht sind, die ihr eigenes Leben, so nicht mehr leben wollen oder können und krampfhaft in ihren Erinnerungen nach dem Punkt suchen, an dem die Welt noch in Ordnung war. Das schlimme daran ist die Tatsache, dass es allen bereits in ihrer Kindheit an einem gesunden Urvertrauen fehlte und sie stets mit dem Gedanken aufstehen, das sie weder erwünscht, noch geliebt, noch gesehen werden und das immer wieder und nachhaltig zu fast allen Zeiten ihres Lebens.

Grund dafür sind die lieblosen, unvernünftigen Handlungen der Elterngeneration, die es nicht schafft, ihren Kindern dieses Urvertrauen zu vermitteln und daraus resultierend wiederrum Erwachsene, die wegen eben jener Lieblosigkeit, die sie selbst in jungen Jahren erlebt haben, später im Erwachsenenalter wieder ganz ähnliche, sträfliche Verhaltensweisen gegenüber ihren Kindern an den Tag legen. Eine Art Endlosschleife, die sich nicht durchbrechen lässt, die immer tiefere Spuren zieht und die Aussicht auf Glück in weite Ferne rücken lässt. Das große Schweigen, die Distanz zwischen Eltern und Kindern, die zerrütteten Beziehungen der Paare und ihre eigenwilligen Entscheidungen - all das sind zentrale Themen des Romans.

Fazit

Hier vergebe ich gut 4 Lesesterne, für einen einprägsamen, stillen und bedrückenden Roman, der nebenbei aufzeigt, wie fatal Lieblosigkeit auf Kinderseelen wirkt und wie bösartig sich falsche Worte in die Seele einbrennen können. Ein Apell zu mehr Achtsamkeit steckt hier in jedem Wort oder wenigstens die Vernunft, sich nicht wieder mit der Verantwortung für ein Kinderleben zu belasten, wenn man das eigene schon kaum erträgt. Gefehlt hat mir jedoch die innere Nähe, zu wenigstens einer Person des Buches - es werden hier schwache Menschen präsentiert, die aus dem negativen Gedankengut einfach nicht herausfinden und der Leser, kommt ihnen nicht näher, weil man leider schon weiß, wie wenig Änderung eintreten wird, selbst wenn die Suche nach dem Ich in der Vergangenheit einen Nachhall finden sollte.

Das Ende kommmt leider viel zu abrupt und Worte können Taten nicht ungeschehen machen, können ein endgültiges Verhalten nicht mehr umwenden und die Konsequenzen tragen jene, die es nie gelernt haben, ihren eigenen Weg zu gehen. Die Traurigkeit des Romans liegt nicht im Detail, sondern in einer Art Nebel, welcher sich auf 300 Seiten kaum lichtet.