Solide Klima-Dystopie

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raeubertochter76 Avatar

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Ich glaube, ich habe selten ein Buch gelesen, dessen Cover so gut den Inhalt widerspiegelt. Auf der einen Seite das künstlich erzeugte Paradies und auf der anderen Seite die erschütternde Realität einer von uns zu Grunde gerichteten Erde.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Jenna und Dorian erzählt und eigentlich hatte ich erwartet, dass sich zwischen ihnen was entwickelt, aber sie treffen wirklich erst im letzten Drittel – sozusagen zum Showdown – aufeinander. Generell ist das Buch keine Love-Story. Stattdessen steht die dystopische Zukunft auf jeder Seite im Vordergrund.
Charaktere: Vielleicht liegt es daran, dass wir nur junge Charaktere kennen lernen, aber die Figuren sie sind nicht besonders komplex gezeichnet und auch in sich nicht immer ganz stimmig.
Jenna bspw. ist hoch intelligent und eine exzellente Programmiererin. Außerdem muss sie taff sein, schließlich hat sie für ihr Ticket zur „Einen Milliarde“ sogar ihre Freundin verraten. Gleichzeitig wirkt sie furchtbar naiv und was mein Nerd-Herz besonders schade fand: Ihre Fähigkeiten spielten auf einmal überhaupt keine Rolle mehr, seit sie New Valley betreten hat. Weder für Handlung noch deren Ende waren sie relevant.
Dorian ist leider auch nicht gerade tiefgründig. Aber sein Charakter bleibt sich wenigsten treu und ist in sich stimmiger. Er ist nicht der typische Heldenhafte männliche Protagonist, was mir gefällt. Weder militärisch, technisch noch medizinisch hat er viel zu bieten; er kann lediglich ganz gut mit Worten umgehen und wie soll das einer so heruntergewirtschafteten Welt schon helfen? In seiner Figur schwingt die philosophische Frage mit: Welche Fähigkeiten sind systemrelevant? Daher beginnt seine Geschichte eigentlich mit seinem Ende, hätte ihn die kleine Maggie nicht eher zufällig gerettet. Und so stolpern beide gemeinsam in die Sache mit New Valley hinein. Ihr Charakter hätte ebenso wie diejenigen der restlichen Figuren viel mehr Potenzial gehabt.
Schreibstil: Ich habe das Buch zügig weggelesen, auch wenn der Schreibstil etwas unausgewogen wirkte: Mal war die Geschichte fesselnd und dann zogen sich die Beschreibungen wieder. Als Jungendroman geht es dabei nie explizit zu, weder in Bezug auf Gewalt noch auf Sex. Aber älteren Lesenden sei gesagt, dass die Autorin zum Denglish neigt, was in meinen Ü40 Augen oft künstlich erschien.
Szenario: Die Grundthematik hat mir wohl am meisten gefallen. Sarah Raich entwirft eine gruselige Zukunftsvision, eben weil die Klimakatastrophe schon in vollem Gange ist. Die Auswirkungen sind sehr realistisch beschrieben und auch die Technik hat sie derart weitergesponnen, dass alles authentisch erscheint. Gleiches gilt für die Entwicklung der Menschheit. New Valley konnte mich dann aber nicht vollends überzeugen, weil es einfach kein stimmiges Bild ergab. Warum werden Tiere unterirdisch gehalten? Außerdem hätte ich mir mehr Programmier-/KI-Thematik gewünscht, was die Auflösung zwar erklärt und auch einen weiteren Aspekt menschlicher Abgründe aufwirft, aber sie erschien mir auch zu schnell und einfach.
Fazit: Sarah Raich hat in ihren Roman viele interessante Aspekte eingebracht, wie bspw. die Idee, dass man sich angesichts der Überbevölkerung zu Gunsten der jüngeren Generation opfert, dafür aber zumindest noch einige Wochen im Paradies verbringen kann. Ich hätte mir nur gewünscht, dass diese stärker ausgearbeitet worden wären. Für mich hätten also 200 Seiten mehr nicht geschadet…
Auch wenn das Buch kleine Schwächen aufweist, habe ich es gern gelesen und würde es auch weiterempfehlen.