Verschüttete Erinnerungen - echt oder nicht?

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Inhalt
Dr. Arno Seitz ist Dozent für Amerikanistik an der Universität in Berlin und führt ein gleichförmiges Leben als Single mit gelegentlichen Frauenbekanntschaften. Nach seinem Abitur im Jahr 1999 hat er seine bayerische Heimatgemeinde Wendling verlassen und ungern an seine Schulzeit zurückgedacht, da kurz nach dem Abitur seine Freundin Maja bei einer Bergwanderung mit zwei Freunden spurlos verschwand. Arnos Beziehung zu seinem Vater war immer schlecht, sodass er seit damals nie nach Wendling zurückgekehrt ist. Doch jetzt erhält er eine Einladung zum Klassentreffen, die er eigentlich sofort ablehnen will. Er überdenkt seinen Entschluss, als ihm anonym ein Handy zugeschickt wird, auf dem ihn jemand namens „Lost & Found“ regelmäßig mit der Aufforderung „Erinnere dich!“ und Hinweisen auf Arnos Jugend kontaktiert.
Im Verlaufe dieses mysteriösen Kontakts wird Arno immer wieder suggeriert, dass er mehr über Majas Verschwinden weiß, als er es seinerzeit vor der Polizei und auch vor sich selbst zugegeben hat.
So beschließt Arno, an dem Klassentreffen teilzunehmen und sich seinen verschütteten Erinnerungen zu stellen. Gemeinsam mit seinen damaligen Schulfreunden Lukas und Ulrike sowie mit Majas jüngerer Schwester Anja, die mehr über das Leben ihrer Schwester erfahren will, geht er den Weg der fatalen letzten Wanderung noch einmal…

Beurteilung
„Erinnere dich!“ beschäftigt sich mit dem interessanten Thema „Erinnerung“, den Möglichkeiten, verschüttete Erinnerungen nach langer Zeit zutage zu fördern und den Gefahren, aufgrund gewisser Erwartungen oder Suggestionen fehlerhafte Erinnerungen zu entwickeln.
Der Protagonist ist trotz seines beruflichen Erfolgs aufgrund traumatischer Erfahrungen in seiner Kindheit bei einem alkoholkranken, gewalttätigen Vater und in der Jugend durch den plötzlichen Verlust seiner Jugendliebe ein eher unsicherer Mensch. Als er von einem Unbekannten, der offenbar alles über seine Vorgeschichte weiß, aufgefordert wird, sich einer alten Schuld zu stellen, beginnt er, an seinen bruchstückhaften Erinnerungen und an seinem Charakter zu zweifeln – ist es möglich, dass er wie sein Vater ist und Maja etwas angetan hat? Aufgrund der gut gewählten Perspektive des Ich-Erzählers ist der Leser dem verunsicherten Mann erkenntnismäßig nicht voraus und muss seinerseits bis zum Ende des Romans in Ungewissheit verharren.
Die Selbstzweifel und die Bemühungen, die Wahrheit über die Ereignisse vor 20 Jahren herauszufinden, werden sehr fesselnd dargestellt. Arno Seitz ist im Grunde ein sympathischer Mann, der aber auch seine dunklen Seiten hat.
Eine Nebenhandlung um einen Studenten, der Arno mit einem Essay, der an Arnos Jugendtrauma angelehnt ist, provozieren will, sorgt zwar zunächst für höhere Spannung, entpuppt sich aber schließlich als wenig glaubwürdig.

Fazit
Ein fesselnder Krimi über die Möglichkeiten, verschüttete Erinnerungen zutage zu fördern und über die Grenzen der Verlässlichkeit bei diesem Vorgang – ungewöhnlich und sehr lesenswert!