Zeit für Neuanfänge

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emmmbeee Avatar

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Judith ist fast 50 und blickt nicht gerade zufrieden auf ihr bisheriges Leben. Sie hat nicht den Mann heiraten können, den sie eigentlich wollte, ist auch auf anderen jugendlichen Schwärmereien sitzengeblieben. Nun ist die Mutter gestorben, die ihr sehr nahegestanden hat. Auf dem Friedhof taucht ihre seit langem entschwundene Freundin auf und erzählt von ihrer Krebserkrankung und der Chemo. Das solide Fundament von Judiths Ehe und die drei Söhne geben ihr zwar Halt, doch nun sind die Jungs aus dem Haus, und sie fühlt sich unausgefüllt. Zudem erweist sie sich als anfällig für Seitensprünge.

Es ist sicher nicht leicht, einen Roman in die Gänge zu kriegen, wenn die ersten 80 Seiten hauptsächlich aus wehmütigen Rückblicken und jammervollen Statements zum Ist-Zustand bestehen. Aber das Erzähltalent der Autorin hält den Leser trotzdem bei der Stange. Denn durch den Buchanfang zieht sich auch der skurrile Transport der Urne mit der Asche ihrer Mutter und das unfreiwillig komische Wiedersehen mit der zurückgekehrten Freundin Anne. Und gegen Ende des ersten Romandrittels nimmt die Story so richtig Fahrt auf.

Keine der Figuren ist schöngefärbt, und es menschelt durchgehend. Deshalb findet sich wohl jeder in der einen oder anderen Person. Wie ein Trostpflaster wirken die witzigen Stellen, und so manche Träne erhält ein Lachen als Beigabe. Gekonnt benutzt die Autorin auch Symbole wie das Grab, in dem niemand liegt, und das für Judiths Hoffnungen an das Leben, ihre Träume und die alte verlorene Liebe stehen könnte. Es geht ebenfalls um das Erwachsenwerden und darum, beim Tod der geliebten Mutter wieder zum Kind zu werden. Starke Themen sind die Freundschaft und das Fundament der Familie.

Anfangs hielt ich die Illustrationen für überflüssig, gar noch die erläuternden Sätze zu den Bildern. Dann aber ging mir auf, wie sinnvoll sie in den Text hineinkomponiert wurden. Scheinbar Nebensächliches, quasi Randbemerkungen werden durch sie ans Licht gehoben. Erst auf den zweiten Blick ist mir aufgegangen, wie ungewöhnlich diese Tuschzeichnungen, unterlegt mit zarten Aquarellen, doch sind. Ansprechend ist die blaue Schriftfarbe bei den Seitenzahlen und den Kapitelüberschriften. Wobei ich mich schon gefragt habe, wie sinnvoll ihre Länge ist (manchmal sogar zwei Sätze lang), vergisst man sie doch sofort wieder.
Angenehm glatt liegt der Schutzumschlag in der Hand, und das Lesebändchen in Blau mag ich auch. Mir gefällt das Buch sehr.