Emotionen und Erinnerungen

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laberlili Avatar

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Ich meine bereits heute, am 01. Februar, sicher sagen zu können, dass "Etta and Otto and Russell and James" einen meiner Lesehöhepunkte 2015 bilden wird: so toll erzählt fand ich sie und so wundervoll erlebte ich die Geschichte der (noch) 82jährigen Etta, die sich alleine und zu Fuß auf die mehrere Tausend Meilen lange Reise ans Meer, quer durch die kanadische Wildnis machte, um einmal und ohnehin zum allerersten Mal in ihrem Leben überhaupt das Meer zu sehen. Zurück bleibt ihr Ehemann Otto, der ihren Wunsch, diese Wanderung alleine bewältigen zu wollen, respektiert und anhand Ettas genau aufgezeichneter Anweisungen versucht, auch die Rolle auszufüllen, die sie bis dato daheim innehatte, wobei er nicht nur neue Haushaltsfertigkeiten entwickelt, sondern auch ein ungeahntes Talent und in diesem Zusammenhang ein Hobby freilegt, das ihn von seiner Sorge um Ettas Befinden und Fortkommen ablenkt und dabei doch völlig von Etta und der gemeinsamen Vergangenheit geprägt ist.
Ohnehin konzentriert sich die Handlung sehr stark auf die Vergangenheit: auf Ettas und Ottos Kindheit und Jugend; ebenso wird der gleichaltrige Nachbar Russell eingeflochten, seit früher Kindheit Ottos bester Freund, seit der Jugend auch ein enger Vertrauter Ettas, die in Sachen Liebe aber doch Otto den Vorzug gab. Während das gemeinsame Leben sich offensichtlich, allein schon aus Altersgründen (zudem wird Etta immer vergesslicher und somit droht auch das Auslöschen der gemeinsamen Zeit aus ihrem Gedächtnis), zu Ende neigt, erzählt "Etta and Otto and Russell and James" vornehmlich zurückblickend, wie die Leben vormals überhaupt zusammengelaufen sind. Die gemeinsamen, zuletzt vergangenen 60 Jahre werden quasi gar nicht thematisiert; dennoch fehlte ein solcher Einblick auch gar nicht: gegenteilig war es sogar mehr als anrührend zu sehen bzw. lesen, wie viel von den jungen Figuren noch immer in den Protagonisten steckte.

Wegen der endlos scheinenden Wanderung können in "Etta and Otto and Russell and James" ganz sicher diverse Parallelen zu anderen "Pilgerromanen" entdeckt werden, aber die Geschichte verströmt hier nun doch ihre ganz eigene Aura: So sind die Figuren von Anfang an deutlich spürbar noch immer sehr intensiv miteinander verbunden, wohingegen Harold Frys Familie schon klar auseinandergedriftet war, ehe er loszog. Auch auf eine unglaubliche Lebensgeschichte wie Jonassons "Hundertjähriger" kann hier nicht zurückgeblickt werden: stattdessen bilden die Biografien der Figuren eher einen Querschnitt durch die durchschnittliche Vergangenheit der heute um die 80jährigen Kanadier, was deutlich interessanter geschildert wurde als es nun vermutlich klingt,
Der erzählerische Ausdruck erinnerte mich vom Stil her an "Grüne Tomaten" und Etta und Otto wirkten definitiv wie eines der langjährig liierten Seniorenpärchen, die noch immer Hand in Hand gehen - auch wenn Etta nun alleine marschierte. Oder auch nicht, denn im Prinzip begleitete sie bald ihr ganzes Leben in Form des von ihr "James" genannten Kojoten, ein wunderbares Symbol für die Geister der Vergangenheit.

Schwer angetan hat es mir vor Allem auch der poetische Schluss des Romans: derart begeistert und nachhaltig beeindruckt hat mich bislang noch kein Romanende; emotional, rührend und einfach wunderwunderschön!

Ich möchte aber unbedingt noch darauf hinweisen, dass, wer selten Romane aus dem englischsprachigen Raum liest, eventuell dadurch irritiert sein könnte, dass wörtliche Rede hier niemals durch Anführungszeichen bzw. spezielle Interpunktion gekennzeichnet ist; nun wird in "Etta and Otto and Russell and James" aber durchaus viel miteinander gesprochen, weswegen hier tatsächlich etwas mehr Achtung geboten ist, wobei ich persönlich den Roman nun absolut nicht als schwer zu lesen oder der Geschichte schwer zu folgen fand!