Etta erfüllt sich einen Lebenstraum

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gisel Avatar

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Etta ist knapp 83 Jahre alt und hat einen Herzenswunsch: Sie möchte das Meer sehen. Deshalb bricht sie an einem frühen Morgen auf, nur mit etwas Proviant und Wechselwäsche und einem Gewehr, um die 2000 Meilen bis zum Wasser abzulaufen. Ihrem Mann Otto legt sie einen Abschiedszettel hin, denn er würde sie nicht gehen lassen, und verspricht, an die Rückkehr zu denken. In der Tasche hat sie einen Zettel, der ihr beim Erinnern hilft, wer sie ist und wer noch zu ihrer Familie gehört. Denn Etta merkt, dass sie anfängt zu vergessen. Mit knappen Worten verabschiedet sie sich von ihrem Nachbarn Russell, der zu dieser frühen Morgenstunde schon auf dem Feld ist und der sie seit ihrer beider Jugendzeit liebt, noch bevor sie Otto heiratete. Auf dem Weg gesellt sich ein Kojote zu ihr dazu, sie nennt ihn James, und er hilft ihr, sich im Freien zurechtzufinden. Während ihr Mann Otto sie ziehen lässt und auf ihre Rückkehr vertraut, macht Russell sich besorgt auf die Suche nach ihr.
Ergänzend zu den Szenen aus der heutigen Zeit erzählt der Autor die Lebensgeschichten von Etta, Otto und Russell, beginnt mit ihrer Kinder- und Jugendzeit, als zunächst Otto und Russell sich kennenlernten. Später trat Etta in ihr Leben, anfangs als ihre Lehrerin und später die große Liebe im Leben beider Männer. Während Russell nicht in den Krieg ziehen konnte, weil er eine Behinderung am Bein hatte, erlebte Otto die Kriegszeit an der Front mit und schickte Etta von dort Briefe zu.
Mit viel Einfühlungsvermögen wird nach und nach das Leben dieser Menschen aufgerollt, es wird allmählich klar, wie es sein konnte, dass sich beide Männer in Etta verliebten und Etta sich nicht entscheiden konnte, wen von den beiden sie mehr liebte. Es sind starke Charaktere, die Emma Hooper vor unserem Auge entstehen lässt, die vergangene Zeiten wieder aufleben lassen und dabei mal traurig, mal lustig daherkommen, wie das Leben eben so spielt. Nicht gefallen hat mir das Ende, es hat mich völlig in der Luft hängen lassen, weil es so überraschend kam und ein festes Versprechen bricht, so dass ich es nicht nachvollziehen kann. Deshalb einen Stern Abzug von mir.
Die Erzählung scheint mit leichter Hand geschrieben, so dass ich beim Lesen schnell vergessen konnte, dass ich das Buch ja in der Originalsprache gelesen habe. Auch geht die Autorin mit ihren Protagonisten sehr einfühlsam um, sie wertet nicht, sondern hält mit klaren Worten fest, was geschehen ist, der Leser kann sich seine eigenen Gedanken über die Geschehnisse machen.
Wenn man zulassen kann, dass es doch eher mindestens ungewöhnlich ist, wenn eine 82jährige Frau mit beginnender Demenz alleine über 2000 Meilen querfeldein wandert, während niemand tätig wird, um sie vor auftauchende Gefahren zu schützen, dann macht das Buch eine Menge Spaß. Wer würde sich denn nicht wünschen, auch im fortgeschrittenen Alter noch einen Lebenstraum zu erfüllen, einfach drauflos zu gehen, um etwas zu erledigen, was man schon immer tun wollte? Das macht das Buch besonders lesenswert und ich kann es somit trotz dem (für mich) unbefriedigenden Ende guten Gewissens weiterempfehlen.