Yes, we can

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buecherfan.wit Avatar

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In Emma Hoopers Debütroman “Etta and Otto and Russell and James” bricht die 82jährige Etta zu ihrer vermutlich letzten Reise auf. Sie verlässt die Provinz Saskatchewan im Westen Kanadas, um zu Fuß nach Halifax im Osten zu laufen. Sie möchte einmal im Leben das Meer sehen. Sie hat mit niemand über ihre Pläne gesprochen. Ihrem gleichaltrigen Ehemann Otto hinterlässt sie einen Brief sowie Rezeptkarten mit seinen Lieblingsrezepten und Anweisungen aller Art, die ihm helfen sollen, in ihrer Abwesenheit zu überleben. Ottos und Ettas alter Freund Russell beobachtet ihren Aufbruch. Er steht beiden sehr nahe. Er wuchs zusammen mit den 15 Kindern der Familie Vogel auf und hat sein Leben lang Etta geliebt, mit der er während des Krieges eine Zeit lang zusammen war. Als Otto untätig bleibt, macht er sich auf den Weg, um Etta zu finden und heimzubringen.

Hoopers Roman ist keine chronologisch erzählte Geschichte. Es gibt viele Rückblenden in die Vergangenheit, und die Erzählperspektive wechselt ständig. Otto, seine Geschwister, Russell und Etta wachsen in schwierigen Zeiten auf. Während ihrer Kindheit herrscht die Great Depression mit Hunger, Armut und enormer Kindersterblichkeit. Als sie erwachsen werden, beginnt der Zweite Weltkrieg. Viele junge Leute melden sich an die Front und kommen gar nicht oder verletzt und traumatisiert zurück. Etta wird - obwohl sie gleichaltrig ist - Ottos und Russells Lehrerin, weil die Kinder der Farmer nur dann zur Schule gehen können, wenn sie auf der Farm nicht gebraucht werden. Otto meldet sich mit 17 zum Kriegseinsatz, während Russell mit seinem nach einem Unfall verkrüppelten Bein zurückbleibt.

Der Roman handelt von erfüllter und unerfüllter Liebe und von Freundschaft, von Erinnern und Vergessen, von Alter und Tod und von den Sehnsüchten und unerfüllten Wünschen eines ganzen Lebens, die die Protagonisten nicht aus dem Blick verlieren. Etta, die ihr Gedächtnis verliert, macht ihre Reise, Russell sucht und findet sie und bricht dann zu eigenen Zielen auf. Otto entdeckt seine Kreativität und schafft eine Vielzahl von Skulpturen aus Pappmaché, die viele Bewunderer finden. Jeder von ihnen zeigt, dass man schaffen kann, was man wirklich will und dass man sich bei der Verwirklichung seiner Träume von nichts und niemand aufhalten lassen darf.

Der Roman ist melancholisch, zum Ende hin zunehmend poetisch und bezaubert durch seinen magischen Realismus in Gestalt von Ettas letztem treuem Freund und Beschützer James, dem sprechenden Kojoten. Das Ende ist bittersüß und ambivalent. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden ebenso aufgehoben wie die Trennung der Identitäten. Erleben und Erinnerungen verschmelzen in den drei Figuren, die durch lebenslange Liebe verbunden sind.

Mich hat dieser Romanerstling sehr berührt. Multitalent Emma Hooper - sie ist Lektorin an der Uni von Bath, Musikerin und Autorin - schafft es, ihre Liebe zur Musik mit Hilfe der Sprache auszudrücken und verwischt dabei die Grenzen zwischen Prosa und Poesie. Ein auch optisch wunderschönes Buch.