Bavaria und Etta und Otto und.....

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bavaria123 Avatar

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Die Geschichte
Die 83 jährige Etta stellt eines Tages fest, dass sie noch nie das Meer gesehen hat. Nun soll sich dieser Wunsch endlich erfüllen und sie macht sich zu Fuß auf einen langen Weg. 3232 Kilometer bis zur Ostküste Kanadas liegen vor der alten Dame.
Zurück lässt sie ihren Ehemann Otto, der sich zwar Sorgen um seine Frau macht sie aber dennoch ziehen lässt, während der gemeinsame Freund und Nachbar Russell Etta zurückholen möchte.
Während ihrer langen Wanderung begegnet Etta den Kojoten James, der sie fortan durch das weite Land begleitet...

Meine Meinung
Wer mich kennt, der weiß, dass ich zunächst immer mal einen Blick auf das Äußere wende. Das Cover finde ich hier sehr schön und auch sehr gelungen. Etta mit dem Fisch aus dem Meer, Otto mit einem Haushaltsgerät, Russel mit Hirschgeweih und James mit Kojotenbild. Das passt. Wer das Buch gelesen hat, wird mir zustimmen. Schön und praktisch ist auch das Lesebändchen.

Eines vorweg: Das Buch muss man von Anfang an ganz genau lesen, sonst kommt man etwas ins Schwimmen... auch ganz ohne Meer. Etta schreibt sich vor dem Aufbruch Zettel. Darauf notiert sie Dinge, die eigentlich nicht aufschreibenswürdig sind. Ihr Name, ihre Familienmitglieder.... und dann ist da noch der Gedanke, dass sie nicht vergessen darf, wieder zurück zu kommen. Ettas Kurzzeitgedächtnis lässt nach...sie ist in einem nicht ganz geklärten Stadium der Demenz. Dieses Buch greift das Thema auf ganz spezielle Weise auf. Deswegen sollte man es sehr aufmerksam lesen.

Etta ist eine ganz sympatische ältere Frau, mit der man schnell Mitgefühl entwickeln kann. Ihr Mann Otto scheint auf den ersten Blick oberflächlich zu sein, aber das ist er ganz und gar nicht. Seit seine Frau unterwegs ist, kann er nicht mehr richtig schlafen, er verändert sich in vielerlei Hinsicht und er weiß schon, warum er die Briefe an Etta daheim auf einen Stapel legt.

Der Nachbar Russell ist ein netter, zurückgezogener Mensch, der Etta immer noch liebt und sie begleiten möchte. Er muss erst das verstehen, was Otto schon länger weiß.

Und der Kojote James...gibt es ihn wirklich? Er spricht und denkt und trägt den Namen von Ettas Neffen, der nie das Licht der Welt erblickt hat.

Die Autorin bedient sich einiger Stilmittel. So gibt es immer wieder Rückblenden in das Leben der drei Hauptpersonen Leider sind diese manchmal so abrupt, dass man als Leser erst einmal orten muss, in welcher Zeit man sich befindet. Das hätte man ein klein wenig übersichtlicher gestalten können.
Manche Sätze sind sehr lang, wie ein Stakkato, ein Angriff im Krieg und dann gibt es wieder ganz kurze Einfügungen und auch Seiten, auf denen nur wenige Worte stehen. Das wiederum hat mich beeindruckt, auch wenn es schon gewöhnungsbedürftig ist.

Es gibt einige Gedanken in diesem Buch, die mich sehr beeindruckt haben. So beispielsweise, dass es nach dem Tod einer Tochter oder eines Geschwisters für einen Elternteil ohne Kind oder für eine Schwester ohne Schwester keine Bezeichnung gibt. Sie sind keine Witwen. keine Waisen, aber sie haben etwas grundlegendes verloren.
Interessant ist auch der Gedanke, dass Etta das Haustier von James ist und nicht umgekehrt.
Oder die Geschichte, von den Männern im Krieg: In einer Spirale saßen sie um das Feuer, jeder so dicht an den Flammen wie möglich, und unterhielten sich leise zu zweit oder zu dritt über nichts, denn sie waren solange in der Nacht und Dunkelheit und allem dazwischen unterwegs gewesen, das nichts das Einzige war, worüber sie noch reden konnten. Allein diese Sätze und Gedanken machen das Buch lesenswert.

Anfangs habe ich gedacht, ich steige nochmal, aber in weiblicher Form mit dem Hundertjährigen aus dem Fenster oder gehe mit Harold Fry zu seiner ehemaligen Arbeitskollegin, weil es durchaus Parallelen zu den beiden Büchern gibt. Aber durch den Hintergrund der Demenz von Eta erscheint dann doch alles ganz anders.

Ich empfehle das Buch auf jeden Fall, wenn ich auch aufgrund der teilweise nicht gleich zu erkennenden Zeitsprünge einen Stern abziehe. Ich möchte Lesern aber nahelegen, dass sie durchaus von Anfang an bei diesem Buch auch ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen haben.