beeindruckend, wie liebe und freunschaft und leben und demenz hier verreint sind

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blätterwald Avatar

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Ein schönes Buch, ein beeindruckendes Buch, welches auf keiner Seite langweilig wurde. Aber die Autorin hat es dem Leser nicht immer einfach gemacht. Dieses Buch ist sehr vielschichtig, eine reiche Themenauswahl und immer wieder ein Wechsel in den Zeiten. Damit hatte ich gerade am Anfang zu tun.
Etta, 83 Jahre alt und mit Otto verheiratet, leidet an Demenz und möchte einmal ans Meer. Sie lebt in Kanada und will nach Halifax, tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Der Pazifik wäre näher, aber Halifax hat eine besondere Bedeutung für Etta. Von dort wurde Otto nach Europa in den Krieg verschifft und ihre Schwester lebte dort als Nonne, weil sie ungewollt schwanger war. Also konnte Etta nur nach Halifax wollen.
Etta macht sich auf den Weg, mit einer Waffe, Schokolade und Zetteln. Auf einen stehen die Namen all der Personen, die ihr wichtig waren und sind und die sie daran erinnern, wer sie ist. Sie kämpft gegen das Vergessen an. Und dieses Buch begleitet sie auf ihren Weg und durch ihr Leben. Es gibt immer wieder Rückblenden in ihr Leben. Es wird von Otto erzählt und dessen Familie, wie er aufwuchs mit 14 Geschwistern, wie er zur Schule kam und wie Russell erst in seine Familie kam und dann sein Freund wurde, aber auch ein Konkurrent. Und das alles wird in einer Art geschrieben, die so ungezwungen ist, das es eine Freude ist, das Buch zu lesen. Mit Charme und immer nur so viel, wie notwendig ist für die Geschichte. Ich mag diese Art des Schreibens, und der Stil klang weder belehrend noch altklug. Die Autorin hat den Leser sicher durch die Geschichte geführt, ohne zu überfordern.
Der Autorin gelingt es, all die vielen Geschichten zu erzählen, über Etta und ihre Familie, Otto und sein ganzer „Clan“, das Leben damals in der kanadischen Provinz, die Zeiten damals, der Krieg, die Liebe, das Jungsein und alles und dann das Alter und die Demenz. Da ist sehr viel passiert und man muss auch sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Aber man erfährt dann sehr viel. Gerade die Zeit, als Etta die Lehrerin von Otto und Russell wird, hat die Autorin sehr gut beschrieben.
Aber auch die Wanderschaft Ettas mit ihrem späteren Begleiter, dem Kojoten James, ist ein wunderbares Kapitel. Es steckt so voller Bilder und Botschaften und zu keinem Zeitpunkt wird jemand vorgeführt. Sicher mag es für manchen befremdlich sein, dass ausgerechnet ein Kojote der Begleiter von Etta wird und sie mit ihm auch Gespräche führt. Gerade an Hand dieses Erzählfadens wird das ganze Ausmaß der Demenz deutlich und wie diese Leute sich verhalten. Es ist gerade für das Umfeld nicht einfach, mit einer solchen Krankheit umzugehen.
Und auch wie gerade Otto und Russell sich verhalten ist sehr bezeichnend. Auf ewig Freunde, aber auch mit dem Eintritt Ettas in ihrer beider Leben, auf ewig Konkurrenten. Der eine sucht Etta und der andere bleibt zu Hause. Niemand kann aus seiner Haut und beide mussten so reagieren. Es macht sie dadurch aber nicht unsympathischer. Es bezeichnet auch den Umgang aller miteinander und die Autorin musste nicht noch viele andere Geschichten erzählen. Dem Leser hat sie die ganzen Beziehungen der einzelnen Protagonisten in ihrem Buch deutlich gemacht. In ihren kleinen Kapiteln steckte immer mehr, als man auf den ersten Blick lesen konnte. Das hat sie ganz geschickt gemacht und das hat dieses Buch auch so lesenswert gemacht. Ich kann es nur jedem empfehlen. Es ist kein trauriges Buch, aber nachdenklich macht es einen doch. Es ist keine Posse, aber man lacht und schmunzelt an sehr vielen Stellen. Es ist Unterhaltung und doch gleichzeitig ernst. Die Autorin hat ihre Figuren ernst genommen und sie dadurch auch sehr gut beschreiben können und sie hat ihre ganze Geschichte ernst genommen. Ein beachtenswerter Roman.