Etta und Otto und Russell und James

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regenprinz Avatar

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Als ich das Buch in Händen hielt, fiel mir sofort auf, wie liebevoll das Cover eigentlich gestaltet ist: Die Namensschriftzüge enthalten kleine Anspielungen auf die jeweilige Figur, das fand ich sehr schön gemacht. Und die beiden Kinder, die über ein Feld tollen, geben auch bereits einen Hinweis auf den Inhalt dieses Romans.
Nachdem mir ja bereits die Leseprobe gut gefallen hatte, gilt dies auch für das komplette Buch. Es ist eine ungewöhnliche Geschichte mit besonderen Charakteren, die zwar größtenteils in der (mitunter harten) Realität fußt, aber manchmal darüber hinausweist. Ein Beispiel dafür ist sicher James, der Kojote, der imstande ist mit Etta zu kommunzieren und sie ein langes Stück ihrer Wanderung begleitet. Oder die französisch flüsternden Fischknochen, die ich wirklich originell fand. :) Ähnlich habe ich es aber auch empfunden, wenn Ettas Erinnerungen oder Gedanken sich stellenweise mit denen von Otto vermischen. Sehr gelungen fand ich die Innensicht einer Demenzkranken dargestellt - Etta versucht ja, sich mit einem Namenszettel zu behelfen und manchmal ist sie während ihrer langen Wanderung tatsächlich darauf angewiesen. Ansonsten ist sie eine unglaublich toughe alte Frau!
Mindestens ebenso berührt hat mich Otto, der tapfer zu Hause ausharrt, weil er zu wissen glaubt, dass Etta das so möchte. Hartnäckig bemüht er sich z.B. um ein Backrezept und als es ihm endlich gelingt, habe ich mich beim Lesen mit ihm gefreut. Ebenso, als er sich das Meerschweinchen anschafft. Die Beschäftigung, die er schließlich findet, ist eine, die mich völlig überrascht hat - so wie ihn bald die ungeahnten Folgen des Ganzen ...
Russell, der dritte Charakter, kam für mich vor allem in den Szenen aus der Vergangenheit gut rüber. Wie er im Kreise von Ottos Familie aufwächst, das war sehr anschaulich und auch spannend geschildert. Diese Generation ist geprägt von harter Arbeit und Entbehrung und dem späteren Krieg. Wenn es um Frauen wie Etta und Alma, ihre Schwester, geht, spielt sicher auch der Drang nach Freiheit und der Wunsch, der Engstirnigkeit zu entfliehen, eine Rolle. Es sind viele Facetten von vielen Lebensgeschichten, die in diesem Roman angerissen werden. Mir hat das gut gefallen, ebenso wie die leise, schlichte und liebenswert humorvolle Erzählweise, die bestens dazu passt. Insofern wirkten die Gegenwartsszenen mit dem entstehenden Hype um Etta und Otto auf mich fast zu überdeutlich, der Kontrast zu extrem. Aber natürlich - oder leider? - ist genau das absolut glaubhaft und realistisch.
Wenn ich diesem Roman trotzdem am Ende nur 4 statt 5 Sternchen gebe, so deshalb, weil ich ihn insgesamt nicht ganz rund fand. Das Ende schließt für mich die Geschichte nicht stimmig ab. Außerdem fand ich, dass Russell ein bisschen zu kurz kommt, was natürlich an seinem Aufbruch und Verschwinden in der Gegenwart liegt - trotzdem fehlten mir hier ein paar Puzzleteile. Nichtsdestotrotz war dies ein sehr lesenswerter Roman, der vor allem durch seine Originalität besticht.