Das Happy End ist erst der Anfang

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zopfmadame Avatar

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Normalerweise besiegelt ein Kuss das Ende eines Märchens. Bei Stella Tacks "Ever & After" ist jener verheißungsvolle Kuss allerdings erst der Anfang einer sagenhaften Geschichte. Mit diesem weckt die Protagonistin Rain nämlich nicht nur einen verwunschenen Prinzen, sondern auch einen jahrhundertealten Fluch, welchen es nun zu besiegen gilt.

Wer eine romantische Erzählung à la Disney erwartet, ist hier definitiv falsch. In Stellas Buch geht es mitunter recht gewaltsam her, die Brutalität grenzt teilweise schon an die in den originalen Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Für mich war dies allerdings absolut kein Kritikpunkt, die dunklen Seiten sind nämlich das, was für mich persönlich ein Märchen erst so richtig spannend macht. Das Cover sowie der Buchschnitt verleihen dem Ganzen zusätzlich einen faszinierenden, mystischen Look. Ever & After ist somit ein phänomenales Gesamtpaket für das Leseherz und das Bücherregal.

Bisher hatte ich noch nichts von Stella Tack gelesen, aber schon ab den ersten Seiten war mir klar, dass sie eine Autorin mit unfassbarem Geschick in ihrem Handwerk ist. In ihrem Schreibstil verknüpft sie sowohl Modernes als auch alte Märchensprache zu einem grandiosen Ganzen. Weder die jugendliche Sprache der Protagonist*innen, noch die eher mystisch gestalteten Märchenschnippsel wirkten in irgendeiner Art und Weise erzwungen oder unnatürlich. Durch ihre Beschreibungen bin ich vor Wölfen davongelaufen und wurde vom Carneval de Masquerade verzaubert - und das ganz ohne mein bequemes Sofa verlassen zu müssen.

Nicht nur die Sprache, sondern auch die Charaktere sind ein großer Pluspunkt in Ever & After.
Die Protagonistin Rain White ist zwar eine Nachfahrin von Schneewittchen, mit einer hilflosen Prinzessin die darauf wartet von einem Prinzen gerettet zu werden, hat sie allerdings nichts gemeinsam. Rain ist frech, willensstark und manchmal auch ein wenig stur, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und würde für ihre Freunde alles tun. Und manchmal kann das auch bedeuten, sich einem Wolf zum Fraß vorwerfen oder einer Einladung des Teufels zu folgen. Besonders schön fand ich, dass diese Hilfsbereitschaft definitiv auf Gegenseitigkeit beruht. Zwar hat Rain bereits zu Beginn des Buches Menschen in ihrem Leben, auf die sie immer zählen kann, im Laufe der Geschichte kommen dann aber nochmals Märchennachfahren hinzu, welche die Story alle auf ihre eigene Art enorm bereichern. Ein weiterer Aspekt der mir gut gefallen hat war, dass die Nebencharaktere nicht nur existiert haben, um Rains Handlung voranzutreiben, sondern auch ihre eigenen Wünsche und Probleme hatten, denen sie nachgegangen sind (Sideeye zu Avery und Holly & Adrien - ich kanns kaum erwarten zu lesen, wie es mit ihnen weitergeht).

Insgesamt konnte mich "Ever & After" also sowohl sprachlich als auch durch die Handlung und die Charaktere überzeugen - die wunderschöne Gestaltung kommt natürlich noch als Kirsche obendrauf. Von mir bekommt das Buch 4,5/5 vergifteten Äpfeln.

Jeder, der scheinbar unlösbare Aufgaben und Tropes wie "found family" in Büchern mag, wird an Ever & After definitiv Freude finden. Gerade für den Herbst bietet sich dieses Buch perfekt an, um sich gemütlich auf der Couch einzukuscheln und sich in ein aufregendes Abenteuer zu stürzen. Ever & After mag zwar eine (sehr gelungene) Märchenadaption sein, allerdings werden sicherlich auch Lesende, die per se keine Märchenfans sind, daran Freude finden.

Trotzdem möchte ich zum Schluss noch eine kleine Warnung aussprechen: Wenn ihr genauso ungeduldig seid wie ich, werdet ihr euch am Ende des Buches fragen, wie ihr mit diesem Cliffhanger bis zur Veröffentlichung von Band 2 in einem Jahr klarkommen sollt - aber das ist das Leseerlebnis auf jeden Fall wert.