Erdrückende Umklammerung

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theresia626 Avatar

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Tatort Käsetheke, es ist Gründonnerstag. Hannes Bergtaler, ein gut aussehender und erfolgreicher Architekt, der sich auf den Umbau von Apotheken spezialisiert hat, fährt Judith, 36, Singlefrau und Besitzerin eines Lampengeschäftes in Wien, im Kaufhaus mit seinem Einkaufswagen in die Ferse. Überschwängliche Entschuldigungen von Hannes und ein Pflaster für die ramponierte Ferse, damit wäre das Mißgeschick erledigt und vergessen. Doch weit gefehlt. Dienstag nach Ostern taucht Hannes zufällig das erste Mal in Judiths Geschäft auf, das sie mit ihrem 16jährigen Lehrling Bianca führt. Sein Büro befindet sich ganz in der Nähe und er hat sie in den Laden gehen sehen. „So eine Frau wie Sie“, … „so eine Frau, die sieht man einmal“, … „die sieht man einmal und kriegt sie nie wieder aus dem Sinn und schon gar nicht aus den Sinnen.“ (S. 13) Es folgt eine Einladung auf eine Tasse Kaffee, später folgen Rosen, unzählige Botschaften per Briefchen und in E-Mailform, Guten-Morgen-SMS, Gute-Nacht-SMS. Hannes ist ein anderer Typ von Mann, anders als alle, die ihr je begegnet sind. „Er war schüchtern und wagemutig zugleich, verschämt und unverschämt, beherrscht und getrieben, auf tolpatschige Weise zielstrebig“ (S. 25) Hannes will Judith und das mit jeder Faser seines Herzens. Er will ihr nah sein, sich ganz tief in ihrem Herzen und Leben einnisten, sie mit Liebesbeweisen überschütten, sie an sich fesseln, sie umklammern, sie erdrücken und Judith gefällt das, anfangs. Selbst ihre Freunde und natürlich auch ihre Mutter sind begeistert von Hannes. Welches Glück sie doch hat, einem solchen Mann begegnet zu sein. Hannes organisiert für beide eine Liebesreise nach Vendig. Nach dieser Reise erkennt Judith, daß sie sich von ihm trennen muß. Er erdrückt sie, er beobachtet sie, er organisiert ihr Leben und das ihrer Familie, er zieht ihre Freunde auf seine Seite und er beginnt, sie langsam in den Wahnsinn zu treiben. Hannes zieht sich nach der Trennung zurück und versetzt Judith damit in eine ausweglose Situation. Jetzt ist sie es, die nach Hannes sucht, und der Leser fragt sich, wer hier eigentlich der Stalker ist. Ihr Lehrmädchen Bianca, die im Laufe der Geschichte eine unentbehrliche Freundin wird, bietet Judith an, sich mit ihrem Freund Basti als Detektive an Hannes Fersen zu heften und entdecken dabei Ungeheuerliches.

Daniel Glattauer, der derzeit erfolgreichste österreichische Autor, hat seinen Roman „Ewig Dein“, der eine minimalistische Handlung hat, wie eine märchenhafte Liebesgeschichte beginnt und sich zum Psychothriller entwickelt, an einen wahren Fall angelehnt. Auch wenn ich das Ende für etwas sehr weit geholt halte, hat es sich so oder annähernd so in Wirklichkeit zugetragen. Das Leben schreibt schon seltsame Geschichten. Der Leser fiebert mit Judith mit, die die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt, und fragt sich ab der Mitte des Buches, wo das alles hinführen wird. Eins steht am Ende fest, das Wort „Liebling“ hat einen bitteren Beigeschmack bekommen, und man mag es selbst eine Weile nicht hören. Ein unterhaltsamer Roman, der sich intensiv mit der Thematik Stalking beschäftigt und den ich gerne gelesen habe.