Stalking gekonnt inszeniert

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
adhara Avatar

Von

"Ein absoluter Traummann!" Judiths Freundeskreis ist sich einig, dass sie mit Hannes das grosse Los gezogen hat. Single Judith geniesst die Aufmerksamkeiten des charmanten Hannes, spürt aber ein immer stärkeres Unbehagen. Dennoch schiebt sie die instinktive Warnung zunächst beiseite und öffnet sich dem allgegenwärtigen Mann. Erst als sie spürt, dass Hannes Fürsorglichkeit für sie bedrohliche Formen annimmt, versucht sie, sich von ihm zu lösen. Damit setzt sie Ereignisse in Gang, die sich nicht mehr kontrollieren lassen.

Daniel Glattauer inszeniert gekonnt einen bedrückend realistischen Roman über Stalking. Mit entwaffnender Offenheit lässt er Judith in die Falle tappen, obwohl sie von Anfang an spürt, dass sie sich von Hannes besser fernhalten würde. Auch ohne dass die Leser die Geschichte schon kennen, sind sie dank dem nötigen Abstand zum Geschehen in der Lage, die gefährliche Situation zu erkennen und richtig zu interpretieren. Damit sind sie der Protagonistin allerdings nur einen Hauch voraus. Denn auch für die Leser ist es zunächst schwierig zu erkennen, weshalb sie gegenüber Hannes Vorbehalte haben. Erst die vielen - wie zufällig eingestreuten - Bemerkungen Judiths setzen wie kleine Mosaiksteine das ganze Bild zusammen. Hat man erst einmal begriffen, wohin die Sache steuert, würde man Judith am liebsten beiseite nehmen und sie eindringlich vor der Situation warnen.

Glattauer lässt der Geschichte Zeit, sich zu entwickeln. Er beginnt lieblich, unspektakulär - aber mit jener voyeuristischen Note, die die Leser bei der Stange hält, auch wenn zunächst nicht viel passiert. Langsam steigert der Autor die bedrückende Stimmung, die sich von Anfang an wie leiser Hauch über dem Geschehen bewegt hat. Die Art, mit der Daniel Glattauer die Stalking-Situation aufbaut, scheint direkt aus dem Leben gegriffen. Wohl jeder ertappt sich dabei, dass er sich in der einen oder anderen Situation genau so verhalten hätte, wie es Judith tut. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei einerseits der Hintergrund Judiths, also ihre Lebenssituation, und andererseits die Haltung der Freunde. Sie sind es, die Judith im entscheidenden Moment und zu einer Zeit, in der sie noch verhältnismässig unbeschadet aus der Situation hätte kommen können, daran hindern, sich von Hannes fern zu halten.

Während "Gut gegen Nordwind" von Daniel Glattauer ein verspieltes Geplänkel mit Worten und Gefühlen ist, legt er hier einen ausgereiften Roman vor, der alle Elemente eines Psychothrillers enthält. Der grosse Erfolg des Email-Verkehr-Romans kommt dem Autor hier allerdings etwas in die Quere. Viele Leserinnen und Leser sind nicht bereit, von ihrer Faszination Abschied zu nehmen und sich auf den neuen Glattauer einzulassen. Dies muss zwangsläufig zu Frustration führen, ist doch "Ewig Dein" absolut anders gelagert, als der Erfolgsroman "Gut gegen Nordwind". Bei genauerer Betrachtung ist "Ewig Dein" jedoch mindestens ebenso Bestseller-würdig, zudem beschäftigt er sich mit einem Thema, das höchst aktuell ist, über das die Betroffenen aber in aller Regel verschämt schweigen.