eine rasante, großartige Geschichte

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kerstin aus obernbeck Avatar

Von

Fabula Rasa _ Vea Kaiser

„Aber gute Laune war auch eine Haltung. (S.34)

Angelika Moser wohnt mit ihrer Mutter Erna im Veza-Canetti-Hof in Wien, wo ihre Mutter als Hausmeisterin arbeitet. Die 20-Jährige genießt das Wiener Nachtleben der 1980er Jahre und träumt von einem besseren Leben. Sie will der einfachen Umgebung entkommen und wünscht sich ein Leben auf der Sonnenseite.

Die junge Frau bekommt eine Stelle in der Verwaltung des exklusiven Grand Hotels Frohner. Angelika arbeitet strukturiert, ist klug, gewissenhaft und weiß sich gut zu positionieren.
Schon bald wird der Hoteldirektor auf Angelika aufmerksam; er vertraut ihr und ihren buchhalterischen Fähigkeiten und aus einer besonderen Situation heraus bittet er sie, die Bilanzen „zu überarbeiten“. Dies erledigt Angelika mit viel Geschick und als Dank erhält sie eine Zuwendung, für die auf Anweisung des Inhabers ebenfalls eine nicht allzu legale Buchung getätigt wird.

In einem Club lernt Angelika den Musiker Freddy kennen, die beiden führen eine komplizierte Beziehung, feiern oft, viel und wild. Das Leben ist teuer, die junge Frau hat Träume und Wünsche, möchte ein anderes, erstklassiges Leben führen – ein Leben, dass mit dem Gehalt einer Hotelmitarbeiterin nicht finanzierbar ist.
Aber hat nicht der Chef selbst Angelika Wege aufgezeigt, um entsprechende Mittel zu beschaffen?
Eine Einmaligkeit wird mehr und mehr zur Gewohnheit, Angelika betrachtet das Geld als Darlehn und hat den festen Vorsatz es zurückzugeben, sobald die Umstände es zulassen.

Wie lange kann so etwas gutgehen?

„Der Direktor würde nie etwas merken.“ (S.355)

Es ist der Direktor des Hotels, der Angelika die „kreativen Buchführung“ näher bringt, geschickt gelingt es ihr, die Interessen des Hotels in den Bilanzen abzubilden – ebenso geschickt berücksichtigt sie auch ihre eigenen Belange und letztlich verleiten sie ihre Ambitionen zu immer gewagteren Transaktionen.

„Das der Fiat Panda vom Hotel bezahlt worden war, wusste zwar außer Angelika niemand, aber sie war zu dem Schluss gekommen, dass es so besser war.“ (S. 343)

Und bei einem Auto ist wahrlich nicht Schluss. Alle Buchungen zu ihren Gunsten notiert sie in ihrem Filofax – und es kommt eine stattliche Summe zusammen. In einem Rausch zwischen Notwendigkeit und Gelegenheit wird sie mutiger und maßloser, sie hat Angst entdeckt zu werden und plant gleichzeitig die nächste Buchung. Kalkuliert, kaltschnäuzig und dabei aber auch nachvollziehbar und gewinnend: Angelika Moser ist sympathische Heldin und egoistische Diebin in einer Person. Vea Kaiser erzählt die Geschichte lebhaft, wortgewandt und ausdrucksstark, mit ganz viel Wien, gutem Humor und nachdenklichen Momenten.

Zwischen den einzelnen Kapiteln gibt es die „Unterhaltungen in der Josefstadt“, in denen Angelika Kaiser selbst aus ihrem Leben erzählt.

Mich hat das Buch von der ersten bis zur letzten Seite aller bestens unterhalten, ich war neugierig, wie es weitergeht, habe Angelika ebenso verstanden wie verurteilt. Die Momente, in denen es um das Älterwerden und die damit verbundenen Veränderungen bei Angelikas Mutter geht, waren für mich schlüssig. Das Buch zu lesen fühlt sich an, als ob eine gute Freundin / ein guter Freund eine Geschichte erzählt.

„Angelika hatte den Aufstieg geschafft, den ihre Mutter ihr niemals zugetraut hatte. Von dem zu träumen sie ihr sogar verboten hatte. Angelika war Mitglied der Führungsriege eines Traditionsbetriebs, Eigentümerin einer Villa und einer Garçonnière, Mutter eines Sohnes, der den Opernball eröffnete, auf dem auch sie heute tanzen würde - als Teil der besten Wiener Gesellschaft.“ (S.467)

Vea Kaiser erzählt die Geschichte einer klugen Frau zwischen Mut und Übermut, Loyalität und Moral. Die Protagonistin ist für mich gleichermaßen nachvollziehbar und unverständlich. Eine spannende, unterhaltsame, mitreißende und einfach großartige Erzählung!

Große Leseempfehlung!