Fabelhafter Schmäh
Die österreichische Autorin Vea Kaiser schaffte 2012 mit ihrem Debut den Durchbruch. Der Roman „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ war nicht nur ein Bestseller, sondern erreichte auch Platz 1 der ORF-Bestenliste. Zwei ebenfalls erfolgreiche und mit Preisen ausgezeichnete Bücher folgten und nun liegt, nach sechs Jahren, ihr neuester Roman vor.
Der Titel „ Fabula Rasa“ - dieses Wortspiel, das einen radikalen Neuanfang mit dem Fabulieren, dem Geschichten erzählen, in Verbindung bringt - ist gut gewählt.
Inspiriert wurde die Autorin von dem realen Fall einer Buchhalterin im Hotel Sacher, die über einen längeren Zeitraum hinweg 4 Mio. Euro veruntreut hatte, aus Mutterliebe, wie sie gestand. Für Vea Kaiser, selbst frisch Mutter geworden, war diese Begründung nachvollziehbar und damit hatte sie einen neuen Romanstoff gefunden.
Wir sind im Wien der ausgehenden 1980er Jahre. Angelika Moser, so heißt ihre Protagonistin, hat keinen leichten Start ins Leben. Aufgewachsen ist sie in einem Gemeindebau, als Tochter der Hausbesorgerin, der Vater ist unbekannt. Doch Angie lässt sich nicht unterkriegen. Obwohl sie gerne mit ihrer besten Freundin das wilde Nachtleben Wiens genießt, so erledigt sie doch tagsüber ihre Arbeit als Buchhalterin im legendären Grand- Hotel Frohner zur vollsten Zufriedenheit ihres Chefs. Dieser hat so viel Vertrauen in sie und ihre buchhalterischen Fähigkeiten, dass er sie bittet, ein bisschen mit den Zahlen zu tricksen. Angelika merkt schnell, wie einfach das ist, denn die falschen Abrechnungen werden unkontrolliert durchgewunken.
Und als sie dann selbst in finanziellen Schwierigkeiten steckt, beginnt sie Gelder auf ihr Privatkonto zu überweisen. Immer in der Hoffnung, das „geborgte“ Geld zurückzugeben, sobald sie dazu in der Lage ist. Allerdings wird ihre finanzielle Situation über Jahre hinweg nicht besser.
Zunächst wird Angelika ungewollt schwanger. Mit Freddy, einem abgerockten Sänger, kann man zwar gut nächtelang um die Häuser ziehen, und der Sex mit ihm ist auch mehr als befriedigend, doch für die Rolle als verantwortungsvoller Vater ist er eher weniger geeignet. Angelika ist deshalb auf sich allein gestellt mit der Erziehung ihres Sohnes.
Und auch ihre zusehends dement werdende Mutter kostet nicht nur Nerven, sondern ihre Unterbringung in einem guten Pflegeheim auch sehr viel Geld.
Die Jahre vergehen, die Summen, die Angelika unterschlägt, werden immer größer. Der Sohn macht Dummheiten, die beglichen werden müssen und Angelika selbst hat Gefallen gefunden an dem schönen Leben. Doch im Hintergrund lauert immer die Angst, irgendwann aufzufliegen.
Vea Kaiser erzählt von einer sympathischen Betrügerin, für die der Lesende Verständnis entwickelt. Denn eigentlich ist die Protagonistin ein anständiger Mensch. Doch Wohlstand und Privilegien sind nicht gerecht verteilt auf der Welt. Während Angelika als alleinstehende Mutter selbst schauen muss, wo sie bleibt, gibt es andere, die mit dem silbernen Löffel im Mund geboren werden. Da darf ein Wochenende schon mal so viel kosten, wie ein Zimmermädchen im Jahr verdient, die Summe lässt sich ja als Spesen von der Steuer absetzen.
Vea Kaiser hält der sog. „besseren Gesellschaft“, die im Frohner absteigt oder sich beim Wiener Opernball feiern lässt, den Spiegel vor.
Und auch die Männer kommen bei ihr nicht gut weg. Angelika hat kein Glück mit ihnen. Sie sind entweder langweilig oder Hallodris. Sogar ihr Sohn, für den sie alles tut ( vielleicht zu viel des Guten), ist eine Enttäuschung.
Das alles wird flott erzählt, mit sehr viel Humor und Wiener Schmäh. Für alle Piefkes gibt es im Anhang dazu ein „sehr kleines Wienerisch-Wörterbuch“.
Vea Kaiser gelingen lebendige Milieuschilderungen, sei es im noblen Grand-Hotel, in den diversen Bars und Nachtklubs oder im Gemeindebau mit seinen skurrilen Bewohnern. Sehr gut fängt sie auch die Situation von alleinerziehenden Müttern ein, mit ihrer ständigen Überlastung, dem permanenten schlechten Gewissen und der Liebe zum Kind.
Authenzität verleiht die Rahmenhandlung dem Roman. Hier besucht insgesamt elfmal eine Schriftstellerin namens Vea Kaiser die Betrügerin Angelika Moser im Gefängnis und lässt sich deren Geschichte erzählen.
Ein paar Längen muss ich zwar dem umfangreichen Roman attestieren, trotzdem habe ich mich bei der Lektüre gut unterhalten gefühlt. Gerade der bitterböse Blick auf die Wiener Klassengesellschaft hat mir gut gefallen.
„ Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels“ ist ein amüsanter Roman über eine Frau, die mit unkonventionellen Mitteln ihr Leben in die Hand nimmt und sich nicht zum Opfer machen lässt.