Fantastisch fabuliert!

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Zusammenfassung
Angelika ist eine junge Frau Ende Zwanzig, die in einem teuren Hotel in Wien in der Buchhaltung arbeitet. Ihre Nächte verbringt sie tanzend im Wiener Nachtleben mit ihrer besten Freundin Ingi. Angelikas Kolleginnen sind spießige und faule Tratschtanten. Sie hingegen ist fleißig und fähig, wird aber übersehen. Ihr direkter Vorgesetzter ist ebenfalls faul, noch dazu ist er kein guter Teamleiter und lässt sie im Stich, als sie seine Hilfe braucht. Durch eine zufällige Begegnung wird der Hoteldirektor auf sie aufmerksam und erkennt ihren Nutzen für sein Hotel. Schnell gibt er ihr wichtigere Aufgaben und erweitert ihren Verantwortungsbereich.

„Als ihr Filofax geliefert wurde, fühlte sich Angelika gerüstet: Jedes Problem war das Ergebnis eines Durcheinanders. Ordnung und Organisation seine natürlichen Feinde. Angelika würde die Buchhaltungsabteilung des Grand Hotels so perfektionieren, dass die Kolleginnen keine andere Wahl hätten, als ihr zu huldigen. Ihr, der Bezwingerin von Schlendrian, Schludrian und Schlampertatsch.“

In ihrem Privatleben mehren sich die Probleme. Sie wird Mutter, der Kindsvater lässt sie im Stich und ihre eigene Mutter wird dement. Angelika trifft eine verhängnisvolle Entscheidung, um ihre Familie und sich zu beschützen.
Worum geht es eigentlich in diesem Buch? Das finde ich gar nicht so leicht zu beantworten, weil es so viele Themen behandelt oder zumindest streift. Es geht um Mutterschaft und Alleinerziehende, um Armut und Reichtum, um sozialen Aufstieg und Kapitalismus; es geht um Verantwortung und Schicksalsschläge, um Kunst und den Wiener Opernball, um das Leben, das man sich wünscht und nicht bekommt.

Bewertung
Vea Kaiser kann einfach richtig gut schreiben. Schlau, witzig und mit viel Liebe zu ihren Figuren. Immer wieder habe ich mir Markierungen gemacht. Schon einer der ersten Sätze in Fabula Rasa ist fantastisch:

„[Ingi] … wurde von langen Nächten in jene Stimmung versetzt, in der man ganze Stadtviertel in Brand setzen will. Angelika in jene, in der zähe Friedensverhandlungen zu einem positiven Abschluss gebracht werden.“

Als die Leser*innen zu Beginn des Buches mit Angelika das Grand Hotel Frohner betreten, erinnert sie sich an den Rat ihrer Mutter, sich ihren Stolz nie nehmen zu lassen und immer eine selbstbewusste Haltung anzunehmen, auch ohne wohlhabende Herkunft. Jung und verkatert befolgt Angelika diesen Rat am Anfang der Geschichte. Auf die gleiche Art verlässt Angelika das Frohner auch viele Jahre später am Ende des Buches. Eine tolle Klammer!
Die Figuren sind alle wunderbar vielschichtig angelegt. Niemand bleibt hier blass oder zweidimensional, alle wirken echt und glaubwürdig. Niemand ist nur gut oder nur böse. Dabei wirken die Figuren durchweg menschlich und sehr originell, teils skurril. Wenn eine Figur droht, in ein Klischee abzurutschen, gibt die Autorin ihr einen Schubs in eine überraschende Richtung. Vor allem Angelika ist mir ans Herz gewachsen, auch wenn ich natürlich nicht jede ihrer Entscheidungen ebenso getroffen hätte.

„Es gab Sätze, die schlugen ein wie Meteoriten. Niemand sah sie kommen, und einen Wimpernschlag später war da, wo vorher noch ruhiges Land gelegen hatte, ein Krater.“

Fazit
Ich habe das Buch sehr gern gelesen. Ich habe mich an keiner Stelle der 556 Seiten gelangweilt und wollte am liebsten immer weiterlesen. Sowohl die Figurengestaltung als auch die Erzählweise der Autorin sind meiner Meinung nach wirklich erstklassig. What a ride!

Empfehlung
Ich würde das Buch allen empfehlen, die Lust auf ein dickes Buch haben, in dem es um die o.g. Themen geht, und allen, die gute Erzählkunst schätzen.