Gelegenheit macht Diebe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
marapaya Avatar

Von

Gelegenheit macht Diebe – so heißt es doch so schön im Volksmund, oder? Vea Kaiser spürt in ihrem neuen Roman „Fabula Rasa“ genau solch einer Gelegenheitsdiebin nach, die über viele Jahre ihren Arbeitgeber um Millionenbeträge geschröpft hatte und letztlich in den Betrug genauso hineingewachsen war wie in ihre Buchhaltungsposition im Wiener Grand Hotel.
Vor genau einem Jahr habe ich „Kaltblütig“ von Truman Capote gelesen. Ein beeindruckendes Buch und inhaltlich sehr weit weg von Vea Kaisers Roman. Dennoch muss ich jetzt beim Schreiben der Rezension daran denken. Denn ähnlich wie Capote schreibt sich die Autorin hinein in ihre Geschichte, erzählt von Besuchen im Gefängnis, bei denen sie sich von der verurteilten Diebin ihre Geschichte erzählen lässt. Ich nehme ihr diese Erzählung komplett ab, versuche sogar auf Instagram den vermeintlichen Sohn zu recherchieren und werde natürlich nicht fündig. Denn während Capote seinen kaltblütigen Fall auf akribisch recherchierte Tatsachen aufbaute, ließ sich Vea Kaiser von einem Zeitungsartikel über die Millionenbetrügerin inspirieren und fabulierte daraufhin ihren 550 Seiten starken Roman mit der fiktiven, zahlenaffinen Angelika Moser im Mittelpunkt.
Ich mochte das Wiener Leben – tags wie nachts – und ich fand Angelika eigentlich ganz sympathisch, mitunter sehr drüber und hatte durchaus auch Mitgefühl für ihre Situation. Allerdings konnte ich nicht gut mit dem Wissen umgehen, dass Angelika unweigerlich eines Tages entlarvt werden würde. Und während ich es ungemein spannend und unterhaltsam fand, sie bis zu dem Punkt zu begleiten, an dem sie das erste Mal Geld für sich abzweigte, konnte ich es gegen Ende des Romans immer schwerer aushalten, wie selbstverständlich ihr dieses Prozedere wurde und wie sich allmählich die Schlinge immer enger um ihren Hals zuzog. Ich bin ehrlich, die letzten 100 Seiten habe ich nur noch quergelesen und wollte endlich ein Ende von dem Schrecken. In gewisser Hinsicht spricht auch diese Gefühlslage für die Autorin und ihre Erzählkunst. Ich war mittendrin in der Geschichte und ständig hin- und hergerissen, ob ich das Erzählte wohl so glauben könne oder nicht. Der Anspannung war ich schließlich nicht gewachsen.
Betrachtet man die Hauptfigur aber mal abgesehen von ihrem Betrug, dann lese ich auch ganz viel Suche nach ein bisschen Glück, nach einem eigenen Platz im Leben und begleite sie zähneknirschend bei einer ganzen Reihe von Fehleinschätzungen und falsch verstandener Anspruchshaltung, die mich mit Unbehagen zurücklassen. Unbehagen, weil sie aufzeigen, dass wir im Leben nie vorher so genau wissen können, ob unsere getroffenen Entscheidungen gut für uns ausgehen. Wir nehmen es nur immer an. Und Angelika entscheidet sich für den halbseidenen Freddy, weil ihr der seidene Eugen zu gut erscheint, sie seinen Gefühlen nicht traut und Angst davor hat, dass ihr das Leben wirklich ein Abenteuer bieten könnte. Freddys Abenteuer spielen in ihrer Welt und die Enttäuschung hat sie bereits einkalkuliert. Ich kann mich da seltsamerweise gut reinfühlen und will es gleichzeitig so weit von mir schieben, wie es nur geht. Den größten Betrug begeht Angelika in meinen Augen an sich selbst und deswegen fällt es mir schwer, sie bis zum Ende zu begleiten. Keine Ahnung, ob dies Vea Kaisers Intention war. Die Geschichte jedenfalls lässt mich nicht so einfach los. Ein leises Unbehagen im Wiener Dialekt scheint sich bei mir eingenistet zu haben.