Spannend und klug

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Vea Kaisers Roman „Fabula Rasa“ ist ein spannender und klug aufgebauter Roman, der uns in das Luxusmilieu eines Grand Hotels in Wien entführt. Im Zentrum steht Angelika Moser, die es durch harte Arbeit von einfachen Verhältnissen bis zur Chefin der Administration gebracht hat. Der Roman basiert auf einem wahren Fall und beleuchtet die Geschichte dieser Frau, die aus scheinbar guter Absicht – nämlich um ihrer Familie Sicherheit und Wohlstand zu garantieren – beginnt, Gelder aus der Hotelkasse zu veruntreuen.
​Angelika Moser ist die Achse, um die sich alles dreht. Sie ist akribisch, diszipliniert und eigentlich moralisch gefestigt, doch der wachsende finanzielle Druck und eine fast schon verzweifelte Mutterliebe treiben sie über die Grenze. Vea Kaiser gelingt es hervorragend, diese innere Zerrissenheit darzustellen. Sie macht Angelika nicht zur klischeehaften Verbrecherin, sondern zu einer Figur, deren Fehlentscheidungen wir nachvollziehen können, auch wenn wir sie nicht gutheißen. Das ist eine der großen Stärken des Buches: Es lädt dazu ein, über Moral, gesellschaftlichen Druck und die Grenzen der Verantwortung nachzudenken.
​Der Roman ist gleichzeitig eine feine Hommage an Wien, mit detaillierten Einblicken in die Atmosphäre und die verborgenen Mechanismen eines Luxushotels. Der Schreibstil von Vea Kaiser ist dabei flüssig, geistreich und mit einem scharfsinnigen Humor gewürzt. Sie führt uns durch Angelikas doppeltes Leben, das sie mit zunehmender Perfektion plant und verwaltet. Die Erzählung ist durchgehend unterhaltsam und bietet einige sehr gelungene Wendungen.
​Ein Punkt, der die Höchstwertung verhindert, ist die Tatsache, dass die große Katastrophe, die Angelikas Handeln nach sich zieht, im Prinzip von Anfang an unausweichlich ist. Man weiß, dass das System irgendwann zusammenbrechen muss, was dem letzten Teil der Geschichte ein wenig die Überraschung nimmt. Doch gerade die Art und Weise, wie Kaiser diesen Fall inszeniert und wie Angelika mit den Konsequenzen ringt, ist literarisch beeindruckend.
​„Fabula Rasa“ ist ein sehr lesenswertes Buch, das eine starke weibliche Hauptfigur in den Fokus rückt und dabei kritisch die dünne Linie zwischen Fürsorge und strafbarer Tat beleuchtet. Eine kluge und packende Lektüre.