Das lachende und weinende Auge.

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kaisu Avatar

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“Als die Scheinwerfer des Toyota Land Cruiser über den bärtigen Kopf glitten, der unter dem Uhrturm von Rakka auf einem Pfahl aufgespießt war, empfand Catherine Finch nicht das Geringste.” (Buchbeginn)

Sobald man diese Worte liest, geht einem direkt durch den Kopf, wie abgestumpft muss man sein, dass man bei solchen Szenen nichts empfindet. Wie in sich zurückgezogen sind die Emotionen, wenn sie sich selbst da nicht herausvagen? Catherine kam einst freiwillig nach Syrien. Als Ärztin wollte sie helfen. Doch dann übernahm die IS die Macht und das Blatt wendete sich gewaltig. So musste jeder lernen sich anzupassen, um zu überleben. Und ihre Version gefällt nicht allen in den USA, wo sie herkommt. Da ist es nicht verwunderlich, dass ihr Tod betrauert und gefeiert zugleich wird.

Nur gibt es einen Haken. Sie darf nicht tot sein. Sie muss leben. Man muss sie am Leben erhalten, bis die Friedenverhandlungen durch sind. Catherine ist das i-Tüpfelchen zur Vervollständigung, was nicht vorher zerstört werden darf. Entsprechend setzt sich eine riesige Maschinerie in Gang, die die Frau zum Leben erweckt. Was das für Konsequenzen haben wird, kann man sich denken. Oder kaufen einem die Menschen das alles blind ab? Lassen sie sich schon so leicht täuschen? Was ist Realität, was ist Fake? Eine wichtige Frage, der in dieser Geschichte nachgegangen wird.

“Haben Sie es gesehen?”, sagte der Klempner.

“Ja, hab ich.”

“Genauer gesagt, haben Sie es gehört?”

“Ja, ich hab’s gehört.”

“Dann ist Ihnen klar, welches Drehbuch für uns geschrieben wurde?” […]

“Sie sind in der Traumfabrik. Lassen Sie sich was einfallen.” (S.116)

Mit einem Schlag werden diverse Geheimdienste aktiviert, Menschen mobilisiert und Kulissen erschaffen, die die perfekte Tarnung darstellen. Was im ersten Moment perfekt durch konzipiert wirkt, hat durchaus, seine undichten Stellen. Nicht jeder glaubt dem Ehemann, der von SMS seiner Frau berichtet und nicht jeder möchte, dass man die Menschen glauben lässt, dass Catherine noch lebt. Nicht jeder möchte Frieden. Korruption, Drohungen, Mord und Totschlag, stehen somit ab sofort an der Tagesordnung. Mittendrin Menschen, die in etwas hineingezogen werden ohne sich deren Gefahren bewusst zu sein.

Komplex ist die Story und dennoch verliert man nie den roten Faden aus den Augen, an dem man sich entlang hangeln kann. Es werden Abgründe aufgedeckt, die man so im ersten Moment nicht erwartet hat. Ob diese Abgründe jedoch so zahlreich sein mussten, ist eine andere Sache. Zudem nehmen ab einem gewissen Zeitpunkt diverse Klischeebilder immer mehr Form an. Bildhafte Krisen, offene Gedankengänge, zufällige Zufälle. Dadurch wird das Buch vorhersehbar. Was ist recht schade fand. So derb und rau es anfängt, so eintönig – dank fehlender Überraschungen – wird es immer mehr gegen Ende hin.

Letztendlich habe ich das Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge zugeschlagen. Endlich hatte ich mich wieder an einen politischen Roman herangewagt, war dank der Leseprobe auch äußerst angetan vom Schreibstil und bin dann in ein gähnendes Inhaltsloch gefallen. Ob ich eine Leseempfehlung – trotz meiner Kritikpunkte – aussprechen kann? Jain. Lest in die Leseprobe rein, schnuppert an dem Stil und entscheidet danach.
Eine interessante Thematik, die anfangs äußerst spannend abgehandelt wird und gegen Ende, immer mehr in Klischeeblasen verblasst.