Idee super, Umsetzung leider mit Schwächen

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hundenaerrin Avatar

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3,5 Sterne

Würdest du deinem Mitschüler glauben, wenn er dir sagt, dass du heute einen Unfall haben wirst und dich dabei verletzt? Nein? Willkommen im Leben von Felix Green. Sein toter Großvater zeigt ihm Zukunftsvisionen von Überfällen, Unfällen und gefährlichen Situationen, die Felix zu verhindern versucht, indem er die betroffenen Menschen davor warnt. Doch niemand glaubt ihm – im Gegenteil: Man wirft ihm vor, die Ereignisse selbst herbeigeführt zu haben! Als er wieder einmal zum Schulleiter zitiert wird, steht er dort jedoch nicht seinem Direktor gegenüber, sondern einem Mädchen namens Lydia, die ihm erzählt, dass er eine besondere Gabe hat und ab sofort in London auf eine geheime Schule für Traumweber und Geisterseher gehen kann. Doch selbst mit Anleitung werden Felix‘ Visionen nur noch düsterer und er sieht in einem Albtraum, dass ein Dämon die Magische Meile und die Geisterseher bedroht. Werden seine Warnungen diesmal ernst genommen?
Diese Geschichte hat so viel Potenzial! Sie hat ein bisschen was von Harry Potter (Setting), ein wenig von Peter Grant und den Flüssen von London (Geister) und einen Hauch vom Goldenen Kompass (Seelentiere) – Magie, Geister und Geheimnisse und das alles vor Londoner Kulisse unter dem Deckmantel einer Geheimorganisation. So weit, so gut und so außergewöhnlich und nicht 0-8-15. Aber leider, leider wird das Potenzial nicht vollends ausgeschöpft. Die Story wirkt etwas gehetzt, denn nach einer Einführung folgen plötzlich Zeitsprünge, die so stark raffen, dass ich das Gefühl hatte, sehr viel Essenzielles verpasst zu haben, besonders in Bezug auf die Figurenentwicklung und das Worldbuilding, was meiner Meinung nach so wichtig gewesen wäre. Die Welt rund um den Geheimdienst der Geisterseher ist sehr komplex und man benötigt etwas Zeit um sich reinzufinden. Doch kaum ist das Gröbste erklärt und Felix hat eine vage Vorstellung von dem, was auf ihn zukommen wird, wird eine Raffung vorgenommen und wir können an den ersten drei Monaten seines Einstiegs in den Geheimdienst nicht teilhaben. Mich persönlich hat das sehr gestört und ich konnte dadurch keinen tiefgreifenden Zugang zum Protagonisten aufbauen, denn diese entstandene Leerstelle war für mein Leseerlebnis zu groß, leider.
Die Komplexität der Geheimdienstwelt und der „Magischen Meile“ in Kombination mit teils doch sehr heftigen und anschaulich beschriebenen Monstern und Ereignissen (Achtung, Spoiler: Tod!) lässt mich zu dem Schluss kommen, dass eine Leseempfehlung ab 10 Jahren nicht altersgemäß ist. Ich denke, dass 12 Jahre eine bessere Altersgrenze darstellt.
Positiv aufgefallen sind mir die Themenaspekte ADHS und damit einhergehend Probleme wie Dyskalkulie und Dyslexie, Impulskontrollstörung und die Wut darüber, nicht verstanden zu werden. Viele Leser*innen, egal ob jung oder alt, können sich sicherlich in Felix wiederfinden. Diesen Rezipienten kann diese Geschichte auch Mut machen, denn sie haben keine Krankheit oder Störung, die nicht in das enge Korsett unserer Gesellschaft passt, sondern ihre Stärken liegen einfach an anderer Stelle. Dadurch sind diese Personen aber nicht weniger wert – im Gegenteil! Die starke Botschaft dieses Buches ist: Sei, wer du bist, mit all deinen Schwächen und den daraus resultierenden Stärken – auch wenn du letztere manchmal erst suchen und finden musst!
Ich werde die Reihe rund um Felix Green und den Geheimdienst der Geisterseher auf jeden Fall weiterverfolgen und hoffe einfach auf mehr Tiefgang in den Folgebänden.