hat mich sehr berührt

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malo2105 Avatar

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Nachdem „Trümmermädchen“ von Lilly Bernstein mein persönliches Lese-Highlight in 2020 war, war ich natürlich auf ihren neuen Roman sehr gespannt.
Helga und Jürgen, die schon im Vorgängerroman eine Nebenrolle spielten, sind hier die Hauptpersonen. Sie haben durch glückliche Umstände die ersten Nachkriegsjahre in Frankreich verbracht und können es kaum glauben, dass ihr Vater sie nach über zehn Jahren gefunden hat. Glücklich und doch voller Sorge kehren sie nach Köln zurück. Ihr Vater hat sich mit seinen Büdchen eine neue Existenz geschaffen, verkauft Zeitungen und bunte Tüten und auch Jürgen findet bald eine Stelle bei Ford. Helga hingegen träumt davon zu schreiben und wünscht sich nichts sehnlicher, als aufs Gymnasium zu gehen. Doch ihr Vater ist vehement dagegen und schickt sie auf eine Haushaltungsschule, wo sich Mädchen für das Eheleben vorbereiten. Ihr Praktikum macht Helga in einen Waisenhaus und ist schockiert über die Zustände und Methoden die dort herrschen. Ganz besonders Bärbel, ein Besatzerkind, liegt ihr am Herzen. Doch auch das Schicksal ihrer eigenen Mutter ist ungewiss.
Ich hatte beim Lesen zunächst Schwierigkeiten mich einzufinden, kann aber nicht einmal genau sagen, woran das lag. Das hat sich aber schnell gegeben und ich konnte wieder voll in die Geschichte abtauchen, so, wie ich es mir erwartet hatte.
Lilly Bernstein entführt den Leser mitten in die Zeit des Wirtschaftswunders, der Petticoats, Rock n‘ Roll und Milchbars. Helga ist dabei wahrscheinlich ein ganz normales 15jähriges Mädchen dieser Zeit. Sie träumt von einem eigenbestimmten Leben, verliebt sich zum ersten Mal und will die Dinge verändern. Dabei hat sie ein riesengroßes Herz und setzt sich für die Kinder des Waisenhauses ein. Schockiert stellt sie fest, dass auch Jahre nach Kriegsende die Ideologie der Nazis in den Köpfen der Menschen herrscht, die, die damals schon das Sagen hatten noch immer an vorderster Front stehen. Die Emanzipation steckt noch in der Kinderschuhen, was Helga am eigenen Leib und sehr dramatisch erfahren muss. Trotz allen hält sie an ihren Träumen fest und setzt sich auch für ihre Mitmenschen ein, auch dann, wenn es vollkommen aussichtslos erscheint.
Gerade deshalb ist mir Helga ans Herz gewachsen. Als Leser leidet, hofft und träumt man mit ihr, will sie schütteln und vor Unbill bewahren, sie in die Arme schließen, wenn sie an Liebeskummer leidet und sie bestärken, wenn sie die Ungerechtigkeiten dieser Zeit erlebt. Doch nicht nur Helga hat sich in mein Herz geschlichen. Zahlreiche Nebenfiguren bereichern diesen Roman, hier will ich stellvertretend Fanny nennen, deren Schicksal mir ebenfalls nahe gegangen ist.
Lilly Bernstein lässt den Leser komplett in diese Welt eintauchen, erweckt mit viel Empathie und Emotionen diese Zeit nochmal zum Leben. Viel zu schnell fliegen die Seiten dahin und plötzlich ist man am Ende angekommen.
Auch wenn Helga und Jürgen in „Trümmermädchen“ vorkommen, beide Romane stehen für sich und können vollkommen unabhängig voneinander gelesen werden.
Ich habe es bei „Trümmermädchen“ bereits so geschrieben und es gilt auch hier:
Eine ganz klare Leseempfehlung verbunden mit fünf hochverdienten Sternen und den Wunsch nach mehr aus der Feder von Lilly Bernstein.