Interessanter Roman!

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mary-sophie Avatar

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Handlung
Köln 1955
Für Helga und Jürgen kommt die Nachricht, dass ihr Vater noch lebt und aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, ist überraschend. Sie haben in Frankreich eine Heimat gefunden, die sie nun verlassen um sich ein neues Leben in Köln aufzubauen. Und dabei muss jeder wieder von vorn anfangen: Der Vater hat sich ein eigenes Büdchen aufgebaut, wo er Zeitungen und Naschereien verkauft, für Jürgen erfüllt sich ein Traum und er beginnt bei Ford zu arbeiten. Nur Helga ist nicht zufrieden. Sie will gern aufs Gymnasium gehen, besucht stattdessen eine Haushaltungsschule. Und während eines Praktikums muss sie im Waisenhaus miterleben, wie schlecht die Kinder dort behandelt werden. Vor allem eines der Mädchen wächst Helga ans Herz, doch wie kann sie ihr helfen?

Meinung
Von Lilly Bernstein kenne ich bereits den Roman Trümmermädchen, eine absolut gelungene und interessante Geschichte, die ich verschlungen habe und die mir ganz hervorragend gefallen hat. Aus diesem Grund wurde ich natürlich sofort aufmerksam, als ich in der Verlagsvorschau einen neuen Titel der Autorin entdeckt habe. Und da mir die Inhaltsangabe gefallen hat, wanderte das Buch direkt auf meine Wunschliste und ich habe mich schließlich sehr gefreut, es als Rezensionsexemplar vom Ullstein Verlag zu erhalten, ein herzliches Dankeschön dafür!

Mir fiel es auf Anhieb leicht, mich auf die Geschichte einzulassen. Sowohl die Sprache, als auch die Figurenzeichnung und die Darstellung der Gesamtsituation war direkt sehr rund und einladend, ich mag das Erzähltempo und bin super flüssig mit dem Lesen vorangekommen. Genau das hat sich durch die gesamte Handlung gezogen, sie ist nie auf der Stelle getappt, es gibt immer wieder neue Impulse, die eine neue Richtung bringen und dafür sorgen, dass es nie langweilig wird.

Die Sprache befindet sich auf einem gut lesbaren Niveau, sie ist nicht zu anspruchsvoll gestaltet und zeichnet schöne Bilder von den Figuren, den Handlungsorten und den Problemen der Protagonisten. Ich finde, dass die Ereignisse durchweg lebendig wirken, in meiner Vorstellung hätten sie durchaus genauso stattfinden können und das verleiht der Geschichte einen guten Rahmen.

Mich hat es überrascht, dass die Handlung teils auf zwei Zeitebenen stattfindet. Der Großteil der Geschichte spielt im Jahr 1955, es gibt ab und an ein paar Abschnitte, die in Tagebuchform verfasst sind und einen Blick zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs geben. Dadurch, aber auch durch geschickt gesetzte Andeutungen, die ein Geheimnis in der Familie vermuten lassen, kommt eine gute Portion an Spannung in die Handlung, die dazu führt, dass man immer weiterlesen will.

Mit den Handlungsorten bin ich zufrieden. Bis auf den Arbeitsplatz von Helgas Vater konnte ich mir die Orte ganz gut vorstellen, vor allem das Haus der Familie hat eine echt gelungene Darstellung erhalten. Bei dem Gebäude hat mir besonders gefallen, wie immer wieder Stimmungen eingestreut wurden, die von den Räumen ausgehen. Die Atmosphäre wird zusätzlich noch durch die An- oder Abwesenheit von einzelnen Protagonisten verstärkt, was ich sehr mag.

Ich finde, dass die Protagonisten solide Zeichnungen erhalten haben, sie treten abwechslungsreich auf, zeigen verschiedene Facetten und entwickeln sich im Verlauf der Geschichte weiter. Trotzdem bin ich nie so richtig vertraut mit ihnen geworden, ich finde, dass sie nicht so stark auftreten, wie ich es mir gewünscht hätte und sie sind leider auch nicht ganz greifbar gezeichnet. Mir war keiner so richtig sympathisch oder unsympathisch, ich finde, dass bei ihrer Darstellung noch das I-Tüpfelchen gefehlt hat.

Fazit
Grundsätzlich ist die Geschichte echt gut, sie zeigt sich von einer abwechslungsreichen Seite, ist interessant und besticht durch ihr schönes Erzähltempo. Auch die Sprache und die Handlungsorte konnten mich überzeugen, sie geben der Handlung einen schönen Rahmen und sorgen dafür, dass viele Szenen lebendig werden.
Doch so ganz wurden meine Erwartungen nicht erfüllt, ich habe mit einem absoluten Highlight gerechnet, was aber leider nicht eingetroffen ist. Das liegt vor allem an den Protagonisten, die zwar gut skizziert wurden, aber leider nicht greifbar genug waren. Hier gibt es für mich noch Verbesserungsbedarf, ansonsten kann ich das Buch definitiv weiterempfehlen.