Wild und warmherzig

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Mit „Fischtage“ legt Charlotte Brandi einen unkonventionellen und doch einfühlsamen Debütroman vor. Im Zentrum steht die sechzehnjährige Ella, eine wütende, kluge und einsame Jugendliche, die in Wohlstandsverwahrlosung lebt, weil ihre Eltern mit sich selbst beschäftigt sind. Als ihre Eltern sich lautstark streiten, verschwindet Ellas kleiner Bruder Luis. Ihre einzige Vertrauensperson, der alte Eckard, kann ihr wegen fortschreitender Demenz nicht helfen, überlässt ihr aber seine Schrebergartenlaube. Dort richtet sie sich ihr Hauptquartier für die Suche nach Luis ein und wird von einem singenden Plastikfisch unterstützt, den sie dort findet – ein absurder, aber überraschend stimmiger Einfall, der dem Roman eine großartig abstruse Note gibt.

Brandi gelingt das Kunststück, die Geschichte einer innerlich zerrissenen Jugendlichen mit trockenem Humor und großer Wärme zu erzählen. Ella ist eine Figur, die einem schnell ans Herz wächst – nicht trotz, sondern wegen ihrer Unangepasstheit, ihrer Schroffheit, ihres Blicks auf die Welt, der nie einfach nur zynisch, sondern immer auch verletzlich ist. Der klugscheißende Fisch wird dabei zum lakonischen Gegenpart, zum absurden Gewissen, zum Stichwortgeber für eine Coming-of-Age-Geschichte, die sich entschieden gegen Klischees stellt.

Die episodische Struktur der Suche, bei der Ella die unterschiedlichsten Menschen trifft, sorgt für Tempo und Abwechslung, manchmal fühlt sich das fast roadmoviehaft an – bloß ohne Auto, dafür mit Aldi-Tüte und Fisch. Der Roman ist dabei durchzogen von Beobachtungen über Familie, Einsamkeit, Loyalität und das Erwachsenwerden in einer Welt, in der Erwachsene oft selbst nicht wissen, wo es langgeht.

Einziger Wermutstropfen: Das Ende fand ich nicht ganz so einfallsreich wie den Rest. Trotzdem: „Fischtage“ ist ein Roman, der sich etwas traut - ungewöhnlich, dennoch unterhaltsam zu lesen und mit einem ganz eigenen Sound.