Sehr beeindruckend: mit nur kleinen Abstrichen.

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Zwei sechzehnjährige Mädchen in Krylatowo, einem sozial benachteiligten Stadtteil von Petersburg. Lena gelingt der Sprung über einen, in ihrer Schule veranstalteten Modelwettbewerb nach Shangai, Oksana, neidisch, bleibt zu Hause und findet sich dick.

Wlada Kolosowa schreibt einen bittersüßen Roman über eine Mädchenfreundschaft, über eine tiefe Beziehung, die am Ende scheitert. Die beiden Personen sind fein und süß gezeichnet, filigran fast, aber keine Spur süßlich. Der Roman hat mir sehr gut gefallen! Die Figuren sind authentisch und wunderbar entwickelt.

Die Tätigkeiten, Gedanken und Erlebnisse der Mädchen sind witzig und tragisch. Jede kämpft in ihrer Welt mit Entfremdung, Identitätsfindung und Heimweh nach der anderen. Über den Kontrast von Oksanas Figurproblemen zur Leningrader Hungersnot durch Belagerung im Zweiten Weltkrieg, eine intelligente feine Nebenlinie, muss man einfach schmunzeln, trotz aller Tragik.

Wlada Kolosowa, geboren 1987 in Petersburg, erzählt leicht wie eine Feder, die Lektüre macht sehr viel Spaß, sie ist voller schöner Metaphern und Vergleiche. Denn die Autorin kann ganz wunderbar mit Sprache umgehen, ein vielversprechendes Talent! Bis ungefähr Seite 185 gab es nicht ein Jota an dem Roman auszusetzen.

Danach ist der Roman immer noch schön, fällt aber ein wenig ab, nicht viel, aber doch, weil die Autorin einem Anfängerfehler erliegt und des Guten zuviel tut. Manchmal genügt es, zu sagen: es schneit. Man braucht für das Selbstverständlichste keinen Vergleich. Und in der Einfachheit liegt auch Schönheit.

Die verwendeten Bilder und Beobachtungen stimmen aber immer noch und sind immer noch schön. Bis auf eines, ich zitiere: „Oksanas Gehirn lief immer weiter heiß, ohne dass sie es bremsen konnte“. Bitte nicht so was!! Solchen Müll brauchen wir nicht in einem sonst so tollen und kunstfertigen Roman.

Leider kann es sich die Autorin nicht verkneifen, hintenraus zu viel Gewicht auf die Leningrader Katastrophe zu legen. Auch hier wäre weniger mehr gewesen. Ich war drauf und dran, mich mehr für dieses historische „Detail“ zu interessieren, bekam dann aber deutlich zu viel Information. Anfüttern ist gut, Belehrung und Draufrumreiten ist schlecht. Auch im Hinblick auf die sozialen Netzwerke, in denen sich eins von den beiden Mädchen verfangen hat, hätte man das überdeutlich Belehrende hintenraus nicht gebraucht, wodurch der Witz und die Spritzigkeit des Romans gelitten haben, man hätte auch ohne erhobenen Zeigefinger verstanden!

Fazit: Insgesamt ein beeindruckendes Debüt einer vielversprechenden Autorin, die innovativ mit Sprache umgeht, sie dabei aber nicht verhunzt wie manch anderer Jungautor. Der Leser sollte Wlada Kolosowa im Auge behalten, sie könnte Preise gewinnen!

Kategorie: Gehobene Literatur
Verlag: Ullstein, 2018