Dahinfließende Wortkunst unter dem Einfluss von Flüssen

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angie99 Avatar

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Katharina Hagena hat abgeliefert. Ihr neues Werk ist mit 400 Seiten umfangreicher, gewichtiger als ihre bisherigen. Das schlägt sich auch im Text nieder. Er wirkt geschwätziger und ausformulierter als ihre früheren Romane, die etwas Hingetupftes hatten, etwas Flirrendes, was sich erst oft gegen Ende zu einem Bild zusammenfügte.

In anderem ist sich die Bestsellerautorin treu geblieben. „Flusslinien“ handelt grob von Menschen verschiedener Generationen, von Familiengeschichten und langgehüteten Geheimnissen. Dieses „man nehme ein Geheimnis und decke es erst am Ende auf“-Konzept wirkt leider etwas ausgelutscht und konnte mich in der Auflösung auch nicht wirklich abholen.

Dafür überzeugt Hagena in anderen thematischen Bereichen. Sie beschreibt eindrücklich die Natur in und an der Elbe – und damit auch die Veränderungen, die mit der Fahrrinnenvertiefung einhergehen. Und sie greift die sensible Problematik auf, wie mit Opfer von Vergewaltigungen gegangen wird - wie bei der jungen Luzie, der Enkelin der 102jährigen Margrit. Wie diese nicht nur unter einem seelischen Trauma, sondern auch unter Verniedlichung, Abwertung und sogar Spott zu leiden haben. Diese Passagen sind eindringlicher, als es so manche Aufklärungsschrift schafft. „Er (der Täter) fühlt sich wahrscheinlich immer noch missverstanden. Ein Opfer. Genau wie all die anderen Opfer feministischer Verschwörungen. (…) Praktischerweise kann er sich wegen des Alkohols sowieso an fast gar nichts erinnern. Glück gehabt. (…) Hat übrigens die Frau getrunken, hurra, wieder Glück für den Täter: Dann ist sie erstens willenlos und zweitens ihre Aussage hinterher unzuverlässig. Cheers.“ (S. 67)

Der Grund, warum ich prinzipiell jeden Roman von Katharina Hagena lese, liegt aber sowieso in ihrem Schreibstil – und auch daran hat sich glücklicherweise nichts geändert. Sie ist und bleibt für mich eine der Großen, was Erzählkunst angeht. Sie nimmt mich ein mit ihren feinen, detailverliebten Beobachtungen von Natur und Menschen, mit erlesenen und sinnlichen Sprachbildern, mit dem fortwährenden Spiel von Bedeutungen und Klängen von Wörtern. „Der Strand ist heute besonders schlickig, aber vielleicht kommt es ihm nur so vor, weil der Schlick wegen der Wärme so stark riecht. Er kann nicht sagen, dass es stinkt, denn er mag den Geruch von nassem Sand und fauligen Pflanzen. (…) Schlick, Schlacke, Schlucken. Schlucken und Schluchzen war einst dasselbe Wort, die alten Sprachen sind so weise.“ (S. 121) Auch mit den skurillen Eigenheiten ihrer Charaktere und dem freundlichen Humor: „Besser, sie fragt Arthur. Der hält dann sein Telefon an die Blätter und Früchte des Baums, und die Kamera schickt die Bilder weiter an einen jungen Mann, den Arthur Pflanzenerkennungssepp nennt, und der schreibt Arthur zurück, wie der Baum heißt.“ (S. 148)

Flusslinien zeichnet die Lebenslinien von Menschen am Ufer der Elbe nach. Im Mittelpunkt stehen drei von ihnen, doch auch ihre Vorfahren, ihre Vergangenheiten und ihre Begleiter nehmen wichtige Rollen in dieser Erzählung ein.
Leben, die mal schneller und bewegter, mal wieder gemächlicher dahinfließen.
Die Handlung dieser Lebensgeschichten mit ihren – aus meiner Sicht oft arg melodramatischen, schicksalshaften – Wendungen, hat mich nicht gänzlich abgeholt.
Ein Genuss war das Lesen dank der sprachlichen Feinheiten trotzdem.