Tiefe Einblicke

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januar12 Avatar

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Katharina Hagena legt mit Flusslinien einen Generationenroman vor, der nicht auf große Dramen setzt, sondern auf leise, feinsinnige Beobachtungen. Im Zentrum steht Margrit, die mit über 102 Jahren in einer betreuten Wohneinrichtung lebt. Ihre Gedanken wandern oft zurück in ihre Vergangenheit und noch weiter zu den Erfahrungen und Lebenslinien ihrer Mutter. Neben ihr spielt ihre junge Enkelin Luzie, die nach einem traumatischen Erlebnis wieder ihren Weg finden muss, und Arthur, der als Fahrer im Heim arbeitet und ebenfalls mit einem Bruch in seinem Leben ringt, wichtige Rollen im Roman. Der Roman wird abwechselnd aus deren drei Blickwinkeln erzählt.

Der Autorin gelingt es, diese Figuren in ihrer jeweiligen Lebensphase mit viel Empathie und Tiefe darzustellen. Die Lebenswege von Margrit, Luzie und Arthur verlaufen nicht geradlinig, sondern in Schleifen, Brüchen und Nebenarmen – wie Flüsse, die sich verzweigen, verlieren und wiederfinden. So wird der Roman zu einer Reflexion über Zeit, Erinnerung und das, was Menschen über Generationen hinweg miteinander verbindet.

Stilistisch zeichnet sich der Text durch eine besondere Feinfühligkeit, gepaart mit feinem Witz aus. Katharina Hagena malt mit Worten Bilder, ihre Sätze verströmen Atmosphäre und Poesie. Statt lauter Töne findet man hier leise, nachhallende Sätze, die in ihrer Sprachkraft Bilder im Kopf entstehen lassen und nachwirken.

Flusslinien ist kein Roman für schnelle Lektüre, sondern einer, den man langsam und aufmerksam liest – wie man auch einem Fluss beim Fließen zuschaut. Wer sich auf die feinsinnige Sprache einlässt, entdeckt ein Buch, das den Facettenreichtum von Erinnerungen und die Schönheit wie auch die Brüchigkeit menschlicher Lebenswege sprachlich eindrucksvoll zur Geltung bringt.