Mitreißend, ein Lesehighlight!

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aniba Avatar

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Annes Sterns Roman "Fräulein Gold. Schatten und Licht" besticht durch wunderbar ausgearbeitete Figuren, eine bis zum Ende spannenden Handlung und einen historischen Detailreichtum, der alles lebendig macht, ohne langatmig zu werden. Er ist ein echtes Erlebnis, das ich jedem Fan Berlins und historischer Romane nur wärmstens empfehlen kann.

Hulda Gold ist 26 Jahre alt und Hebamme am Berliner Winterfeldtplatz. Selbstbewusst und modern, geht sie allein ihren Weg, wenngleich die Schatten ihrer Vergangenheit sie stets begleiten und ihre Entscheidungen beeinflussen. Ihre größte Stärke und Schwäche zugleich ist es, regen Anteil am Schicksal ihrer Patientinnen und Bekannten zu nehmen. Als die Nachbarin einer Wöchnerin unter mysteriösen Umständen im Landwehrkanal ertrinkt, kann sie nicht anders, als auch deren Schicksal zu ergründen. Ihre Neugier und Fragen bringen sie mehrfach in arge Bedrängnis, und ebenso Kriminalkommissar Karl North, der in dem Fall ermittelt. Wer findet zuerst heraus, was der armen Frau aus dem Bülowbogen wirklich zustieß?

Der Titel „Schatten und Licht“ ist hervorragen gewählt und stringent umgesetzt. Einerseits im Berlin der 20er Jahre an sich, wo die junge Demokratie immer wieder von rechts wie von links angegriffen wird, wo Arm und Reich nur eine Straßenkreuzung voneinander entfernt leben, wo die Folgen des Krieges auf die goldenen 20er treffen. Geschickt lässt Anne Stern den Leser bzw. Hörer hinter diese Kulissen blicken und vermittelt ganz nebenbei historische Fakten.
„Schatten und Licht“ kennen zudem auch alle ihre Figuren, die plastisch, tiefgründig und vor allem glaubhaft beschrieben sind. Nirgends gibt es ein eindeutiges Schwarz oder Weiß, jeder hat gute und schlechte Seiten, wurde durch die Kriegszeit oder die Geburt in eine bestimmte Klasse geprägt, erträgt sein Schicksal, rebelliert oder versucht eben einfach, das Beste aus der aktuellen Lage zu machen.

Dieses Buch besticht daneben durch einen Spannungsbogen, der das Ende nicht vorausahnen lässt. Manche mögen kritisieren, dass am Schluss nicht alle Fäden zusammengelaufen sind, bei mir hingegen wecken sie die Neugier auf den zweiten Teil „Scheunenkinder“. Ich hoffe, er wird ebenso ein Highlight des Lesejahrs 2020 wie dieser erste Teil.