Ein Buch wie eine Zeitreise

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Von einem Minister Louis XVI. erhält der Ingenieur Jean-Baptiste Baratte den Auftrag, Paris von den Ausdünstungen des Friedhofs der Unschuldigen zu befreien. Etwas überrascht von dieser Bitte begibt er sich an Ort und Stelle. Als er die dortige Kirche betritt, trifft er den Organisten Armand. Dieser bringt ihm die Menschen rund um den Gottesacker des ärmlichen Bezirks von Les Halles näher. Während die einen begeistert sind, dass die Quelle des Verderbens nun beseitigt werden soll, hängen die anderen an den Traditionen fest.

Andrew Miller hat mit seinem Roman zurecht den Preis für das beste Buch des Jahres 2011 erhalten. Schon das Betrachten des Coverbilds mit seiner hübschen Federzeichnung nimmt den Leser gefangen und stimmt auf die historische Zeit ein. Wortgewaltig beschreibt er die Stimmung des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Paris mit seinen engen Straßen, lauten Tavernen und dunklen Häusern. Das aufgewühlte Volk soll bald schon die Revolution beginnen. Nicht nur im übertragenden Sinn gärt es an allen Ecken. Der Gestank, die Armut und das Verrottende sind in jeder Zeile zu spüren und bereiten schon nach wenigen Seiten ein intensives Leseerlebnis. Die Wortwahl ist anspruchsvoll und beinhaltet immer wieder versteckte Hinweise auf die damaligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Äußerst sorgfältig hat der Autor dafür die Figuren zusammengestellt, um die Fülle der Unterschiede zu verdeutlichen, ohne den Leser mit zu vielen Details zu überfrachten. Auch die Umstände wurden exakt recherchiert, sodass die dargestellte Handlung glaubwürdig scheint.

Das in vier Teile gegliederte Buch lässt seine Leser zudem an Barattes Gefühlsschwankungen teilhaben. Der junge Ingenieur lernt im Verlauf der Geschichte, dass ein Ziel nicht immer auf direktem Weg zu erreichen ist und muss teilweise seine eigenen Prinzipien hinterfragen. Er muss lernen, Arbeiter zu führen, Entscheidungen auch gegen eine Mehrheit zu treffen und auch emotional die richtige Wahl zu treffen. Die österreichische Hure Héloïse, der an Traditionen hängende Armand und der wie ein Orakel fungierende Lecoeur sind ebenso detailreich gezeichnete Nebenfiguren. Alles zusammen genommen ergibt ein leuchtendes Abbild im Fackelschein des historischen Paris am Vorabend der Revolution. Für die Lektüre sollte man sich Zeit nehmen, damit es angemessen wirken kann.