Ein Jahr mit Leben und Tod

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courfeyrac Avatar

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Ein junger Ingenieur bekommt die Aufgabe gestellt, einen überquellenden Friedhof in Paris zu beseitigen, damit an dieser Stelle Neues entstehen kann. Eine Aufgabe, die sich sich nicht leicht einschätzen lässt für einen menschlich noch recht unerfahrenen Mann, der aus der Provinz in die Hauptstadt kommt. Der Friedhof ist in der direkten Umgebung seit Generationen bestimmend. Besonders seit er die Toten nicht mehr halten kann, seine Ausdünstungen alles Lebende im Umkreis durchzieht, prägt er das Stadtbild. Die Menschen haben sich damit arrangiert. Veränderungen sind ihnen suspekt. Und das obwohl sich auch ganz andere Veränderungen abzeichnen. Wir befinden uns zeitlich kurz vor der großen Revolution. Auch unser Ingenieur wird von der "Partei der Zukunft" umworben. Zwar ist er selbst zurückhaltend, steht ja selbst im Dienst des Ministers, doch hat er auch schon lange in Gedanken seine utopische Welt geplant. Die Mauern werden zum Alter Ego. Auf ihnen steht geschrieben, was von ihm erwartet wird.
Das Buch schildert ein prägendes Jahr im leben des jungen Mannes. Er lernt Menschen kennen, entdeckt die Liebe, sieht den Tod, Verrücktheit, Ideale, Angst. Mehrmals muss er sein Handeln neu bewerten. Entsprechen seine Taten seinen Vorstellungen?
Die Geschichte selbst ist zeitlos. Ein Mann reift an seinen Aufgaben, muss Verantwortung übernehmen und Stellungen beziehen. Andrew Miller zeichnet hier einen kompakten Mikrokosmos um den Friedhof, die Kirche, die benachbarten Häuser und die Straße. Das Personal ist handverlesen, die Arbeiter treten vorwiegend als Kollektiv auf und die Menschen außerhalb der Friedhofsmauern bleiben bloße Schatten. Die Sprache ist poetisch gewählt ohne umständlich zu wirken. Es liest sich flüssig und angenehm.
Andrew Miller zeichnet um das persönliche Schicksal ein sehr feines, stimmungsvolles Bild der Epoche der Aufklärung.
Obwohl ich kein Fan historischer Romane bin hat mich dieses Buch doch in seinen Bann gezogen.
Zur Ausstattung kann man noch sagen, dass der feste Einband und der Schutzumschlag in der Optik eines kolorierten Kupferstichs sehr edel wirken. Ein Lesebändchen wäre noch nett gewesen, aber das tut dem ganzen keinen Abbruch.