Etwas morbid, aber trotzdem gut lesbar

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danib83 Avatar

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Erschienen ist das Buch am 29. Juli 2013, also noch fast druckfrisch halte ich es in meinen Händen. Auf 384 Seiten wird die Geschichte des Ingenieurs Jean-Baptiste Baratte erzählt und die LeserInnen können ihm ein ganzes Jahr lang bei seiner Arbeit zusehen. Diese besteht darin, den Friedhof der Unschuldigen samt dazugehörige Kirche abzutragen, da der Gestank die Bevölkerung langsam aufzufressen scheint. Die Szenerie spielt sich dabei kurz vor der Franösischen Revolution ab und Männer tragen noch Perücke, obwohl es langsam in Mode kommt, das eigene Haar zu zeigen.

Andrew Miller, 1960 in Bristol geboren, lebt in Somerset und hat diesen Roman bereits im Jahr 2011 unter dem Originaltitel Pure bei Sceptre, London, herausgebracht. Die Titelbilder unterscheiden sich ausnahmsweise mal nicht sehr stark voneinander, obwohl verschiedene Verlage und Sprachen im Spiel sind. So ist in der englischsprachigen Ausgabe das Gewand des Mannes blau-gelb gehalten und in der vorliegenden Ausgabe grün-gold. Die Seitenanzahl ist in der englischen Version auch etwas geringer: Diese zählt 352.

Aufbau und Inhalt
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Der Roman ist in vier Teile gegliedert, wobei jedem Teil ein Sprichwort zugewiesen wird. Teil 1 besteht aus knapp 120 Seiten und beschreibt in 13 Unterkapiteln, die jeweils nur mit einer Zahl versehen sind, wie Jean-Baptiste Baratte den Auftrag vom Minister erhält, den Friedhof der Unschuldigen dem Erdboden gleichzumachen. Wir lernen auch die Familie kennen, bei der der junge Ingenieur wohnen kann und den Organisten der Kirche, die ebenfalls abgerissen werden soll.

Teil zwei kommt ebenfalls mit 13 Unterkapiteln auf ein bisschen mehr als 100 Seiten aus. Zu Beginn dieses Abschnittes fährt Baratte nach Hause, nach Bellême. Dort holt er Männer, die beim Ausheben der Armengräber helfen sollen. Diese kennt er aus seiner eigenen Zeit als Bergarbeiter und sein damaliger Freund Lecoeur begleitet ihn nach Paris, was später der armen Jeanne, die gleich am Friedhof lebt, zum Verhängnis werden soll.

Der dritte Teil braucht mehr Kapitel (15 an der Zahl) auf weniger Seiten und hier findet auch ein Umbruch statt. Der Protagonist wird erstmals von einer Gegnerin des Abbruchs angegriffen und schwer verletzt. Ab diesem Zeitpunkt ist er nicht mehr derselbe. Außerdem findet Jean-Baptiste Baratte seine Liebe und diese zieht bei ihm ein.

Der letzte Teil beschäftigt sich dann mit dem Abriss der Kirche beziehungsweise wird diese nach einem unglücklichen Zwischenfall abgebrannt. Das Jahr ist vorüber, Baratte kehrt kurz nach Bellême zurück, um anschließend gemeinsam mit seiner Freundin eine eigene Wohnung in Paris zu beziehen.

Wie ich den Anmerkungen des Autors auf der letzten Seite entnehmen kann, basiert der Roman teilweise auf wahren Begebenheiten: Die Kirche und den Friedhof der Unschuldigen gab/gibt es tatsächlich in Paris, die meisten Dinge und Personen sind aber fiktiv und mit dem Tatsächlichen kombiniert.

Eigene Meinung und Fazit
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Ein durchaus gelungener Roman, der von Nikolaus Stingl übersetzt wurde. Die Thematik hat etwas morbides an sich, doch diese Tatsache vergisst man ob der Häufigkeit ihres Vorkommens ganz schnell. Zudem werden Liebe, Leid und alltägliche Dinge in die Handlung eingebaut und man lebt mit dem Ingenieur Baratte mit. Auch andere Personen (wie beispielsweise das Hausmädchen Marie, die Familie Mollard, Jeanne und Armande) bekommen Charaktereigenschaften zugewiesen und spielen ihre ganz eigene Rolle. Allerdings kann man sich mit diesen Figuren – im Gegensatz zu Baratte – schwerer identifizieren, vielleicht auch, weil sie nicht so präsent vorkommen wie der Protagonist selbst.

Es gab während der Lektüre einen kurzen Moment, an dem es langatmig wurde, doch ist dieser übertaucht, geht es munter weiter und man ist gespannt, was sich im Leben des Brückenbauers und nunmehr Friedhofdemolierers tut. Man wird auch in der Zeit zurückversetzt und findet sich vielleicht im Paris des 17. Jahrhunderts wieder.