Viel mehr als ein Buch über einen Friedhof

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satine2204 Avatar

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Die Welt im Frankreich zum Ende des 18. Jahrhunderts ist im Umbruch – der Umbruch, er liegt in der Luft, genauso wie der Verwesungsgeruch rund um den Friedhof der Unschuldigen mitten in Paris. Und wenngleich die Minister in Versailles die Vorboten der Revolution nicht aufhalten können, so geben sie zumindest die Auflösung des Friedhofs in Auftrag und beauftragen den jungen Ingenieur Baratte mit der Zerstörung des Friedhofs so dass an seiner Statt ein neuer Markt gebaut werden kann.
Hochmotiviert reist Baratte aus seiner ländlichen Heimat ins schmutzige, lärmende Paris und lernt sogleich den Organist der zu dem Friedhof der Unschuldigen gehörenden Kirche kennen: Armand, ein Freigeist wie er im Buche steht und damit genau das Gegenteil von Baratte, der stets auf die Einhaltung der Vorschriften schwört. Und doch sind sie sich „darin einig, dass der Verlust von Illusionen eine unverzichtbare Vorbereitung für jene darstellt, die es auf der Welt zu etwas bringen wollen“. Und so hat Armand einen gewissen Einfluss auf Baratte und nach einem Unfall schwört sich dieser: „Er wird einfach der Welt folgen. Die Welt, die Dinge der Welt werden ihm soufflieren.“
An einigen Stellen kommen dem Leser die Arbeiten auf dem Friedhof der Unschuldigen sicherlich makaber vor – ein gruseliges Buch sollte man jedoch nicht erwarten. Denn Miller hat eine so authentische und trotzdem niemals abwertende Geschichte geschrieben, dass der Leser wirklich das Gefühl hat gemeinsam mit Baratte und all den Bekanntschaften die er in seiner Zeit in Paris macht, die Arbeiten auf dem Friedhof mitzuerleben. Er schreibt klug und wahr und neben dem Finden und dem Verlust von Illusionen und Träumen geht es auch um die Liebe und darüber wie schwer es fällt „sie sich nicht mehr als ein Zuhause vorzustellen, das man eines Tages vielleicht wiederfindet“. Solche Sätze hätte ich niemals erwartet in einem Buch das sich „Friedhof der Unschuldigen“ nennt und zu dem das Cover zwar auf den ersten Blick passt, aber dann auch wieder nicht.
Alles in allem ein sehr lesenswertes Stück Zeitgeschichte.