Eine Geschichte in Gedanken und Gefühlen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
schmiesen Avatar

Von

"Und wenn die Leidenschaft auch mein Herz verbraucht, um ein Millionstel täglich, so ist doch alles, was das Herz berührt, gut für das Herz, ist zumindest ein Gefühl."

Schon früh erkennt Paul, was Begehren ist. Er folgt diesem Gefühl kompromiss- und bedingungslos, und findet Liebe bei vielen Menschen. Doch keiner hält ihn wirklich, denn seine Liebe folgt anderen Gesetzen und erfindet sich immer wieder neu.

In fünf langen Kapiteln erzählt Aciman von Pauls fünf Lieben, angefangen bei Nanni, den Paul als 12-jähriger kennenlernt und der heftiges Begehren in ihm weckt. Noch kann der Junge dieses Gefühl nicht einschätzen, doch später weiß er, dass diese Leidenschaft die Grundlage für all seine Lieben war und ihn immer begleiten wird.

"Gefühl" lautet das Stichwort in Acimans neuem Roman. Alles geschieht im Kopf des Protagonisten, wir verfolgen minutiös seine Freuden, Ängste, Befürchtungen - die sich im echten Leben selten bewahrheiten. Es baut sich eine subtile Anspannung auf beim Lesen dieser oft selbstzerstörerischen Gedanken, die man erst bemerkt, wenn man das Buch zur Seite legt und endlich wieder tief Luft holen kann. Das ist kein angenehmes Lesen, aber es ist definitiv sehr emotional.

Paul hat Beziehungen zu Männern und zu Frauen, und ich meine, ein gewisses Muster in seinen Lieben erkannt zu haben. Die Männer sind sehr sexualisiert und werden häufig in erotischen Kontexten "gedacht", während die Frauen sehr viel abstrakter und intensiver beleuchtet werden. Wie eine Aufspaltung der Gefühle und Triebe. Jedes Kapitel wartet ganz am Ende mit einer ziemlichen Überraschung auf, die den Leser aus Pauls Gedankenstrom herausreißt und zurück in die Realität versetzt, die mit Pauls Überlegungen häufig wenig zu tun hat. Alles wird plötzlich in eine neues Licht gerückt und muss erst einmal verdaut werden. Dieses Spannungsfeld macht den Roman noch ein wenig intensiver und anregender. Man macht sich definitiv Gedanken über die eigenen Gefühle, und über ihren tatsächlichen Zusammenhang mit der Realität. Gleichzeitig bleibt Pauls echtes Leben merkwürdig verschwommen. Er gewährt uns kurze Einblicke in sein Familienleben, wir wissen, dass die Eltern wohl tot sind, wir erfahren nebenbei, mit wem er gerade zusammen ist oder von wem er sich getrennt hat, seine Arbeit scheint mit Büchern zu tun zu haben - doch klar wird hier nichts. Es ist eine Geschichte in Gedanken und Gefühlen.

Aciman wird zurecht als "herausragender Sensualist" bezeichnet, der inneres Feuer so intensiv beschreibt, dass man selbst betroffen zu sein scheint. Das Buch hat mich häufig unruhig gemacht, manchmal in seiner Obsessivität auch ermüdet, aber meistens doch sehr angeregt und nachdenklich gemacht. Die Motive ähneln sehr denen in "Call me by your name", und diese erkennbare Linie hat mir gut gefallen. Es macht den Autor für mich greifbar und identifizierbar. Insgesamt ist "Fünf Lieben lang" ein anspruchsvoller, mitreißender und bisweilen beklemmender Roman, der für mich in der aktuellen Literaturszene keine Entsprechung findet.