Hin- und hergerissen

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evelynm Avatar

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Die deutsche Autorin lebt in Tokyo und ist mit einem Japaner verheiratet, was ihre Geschichte sehr authentisch macht. Ich selber war noch nie in Japan und weiß über die Kultur, das Land und die Japaner nur sehr wenig. Dank Fiona Kawazoe habe ich jetzt einen besseren Einblick bekommen. Das Verhältnis der Japaner zu ihrem Arbeitgeber und ihren Kollegen unterscheidet sich ganz grundlegend von dem unserem. Urlaub wird genommen, wenn die anderen auch in Urlaub gehen oder gar nicht. Ein Arbeitsplatzwechsel fällt schwer, da sich die Japaner sowohl ihrem Arbeitgeber als auch den Kollegen, die sie eingearbeitet haben, verpflichtet fühlen. Die Ansprüche japanischer Eltern an ihre Kinder ist auch ein anderer: so gehen bereits 3jährige Kinder in die Schule, wo sie z. B. Fremdsprachen lernen und in der Freizeit geht der Unterricht dann weiter.

Vanessa landet mitten in dieser fremden Kultur, ohne Kenntnisse über das Land und vor allem ohne die Sprache zu beherrschen. Aufgrund ihrer Depressionen wurde sie von einer vermeintlichen Psychotherapeutin und Bekannten ihrer Freundin Alex kurzerhand als Kinderbetreuerin zu Ayumi und ihrer Familie nach Tokyo geschickt. Dort soll sie Abstand zu ihrem bisherigen Leben gewinnen und ihre Depression überwinden, was in 3 Monaten schier unmöglich scheint. Schnell gewinnt sie die Zwillinge Chie und Hayato, deren Betreuung sie übernimmt und die sie an ihre eigenen Zwillingsgeschwister erinnern, lieb – leider ist deren kühle Mutter Ayumi sehr vereinnahmend und fordern. Für Vanessa ist es sehr befremdlich, dass Ayumi anscheinend die Arbeit ihren Kindern vorzieht, da sie oft zu spät nach Hause kommt und von Vanessa erwartet, dass die Kinder dann bereits fürs Bett zurechtgemacht sind. Kurzentschlossen sucht sich Vanessa eine eigene Wohnung. Über die Engländerin Lucy, die Chie und Hayato zuvor betreut hatte, kommt sie zu der Deutsch-Japanerin Saki, die ein Zimmer zu vermieten hat. Ihr Umzug zu Saki veranlasst Ayumi, Vanessa nur noch stundenweise für den Deutschunterricht zu beschäftigen und Saki spannt Vanessa für die englische Übersetzung ihres Blogs und die Mitarbeit in ihrem „Hilfsservice für interkulturelle Problem in Tokyo“ ein. Dafür erlässt sie ihr einen Teil der Zimmermiete. Das Zusammenleben mit der fröhlichen und quirligen Saki bekommt Vanessa ganz gut und bald findet sie nicht nur eine Freundin in ihr sondern auch in deren Kindheitsfreund Takuya. Doch es kommen bei Vanessa und Takuya Gefühle ins Spiel, was die Beziehung des Dreiergespanns durchaus schwierig gestaltet. Das Ende des Romans ist nicht wirklich überraschend, aber schön. Der Epilog rundet mit einem Blog-Eintrag von Saki den Roman ab.

Erst sehr spät wird klar, warum Vanessa Deutschland Hals über Kopf verlassen hat. Grund sind ihre Depressionen, die auf ihre Kindheit zurückzuführen sind. Während ihre Mutter ihren eigenen Wünschen nachging, kümmerte sich Vanessa – selbst noch ein Teenager – liebevoll um ihre beiden Geschwister.

Auch wenn der Schreibstil leicht ist und die Geschichte verständlich und nachvollziehbar war, hat es mich nicht gepackt. Ich hatte lange Lesepausen und kam mit dem Buch nicht vorwärts. Mit Vanessa wurde ich nicht richtig warm, obwohl ich ihre ständig wechselnden Gefühle und ihre Irritationen in diesem für sie völlig fremden Land durchaus nachvollziehen kann. Saki fand ich recht sympathisch mit ihrer zupackenden und frischen Art. Und Takuya … er unterscheidet sich in seiner Zurückhaltung und pragmatischen Art gar nicht so sehr von Vanessa. Über seine Gefühlswelt erfährt der Leser erst zum Schluss hin mehr, ebenso über die von Vanessa.
Trotz aller Kritik hat es die Autorin aber geschafft, mich in eine andere Kultur eintauchen zu lassen.