"Laugh in places you cried"

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annajo Avatar

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Ein Unfall, der keiner ist, auf einer Küstenstraße. Eine Familie, die in den Tod stürzt. Eine Protagonistin, die sich in ihrer Jugend nach einer der Furien benannt hat: Alec. Die namenlose Erzählerin ist eine erfolgreiche Businessfrau, hat unlängst das Vogue-Cover geziert und lebt ein Leben, das sich viele wünschen. Doch ihr Privatleben ist eher trist. Der Vater ist vor Kurzem gestorben, die Mutter gewöhnt sich erst langsam an die neuen Lebensumstände und wird von der Erzählerin auf Singlereisen geschickt. Sie selbst wünscht sich einen neuen Lebensinhalt, doch ein Anruf macht diese Hoffnung zunichte. So fährt sie, mit ihrem Tagebuch von damals im Gepäck, zurück in die Stadt am Meer, die sie zwanzig Jahre zuvor hinter sich gelassen hat und zurück zu den Erinnerung an ihre Zeit mit Meg und Tess. Sie drei, die sich nach den Furien der griechischen Mythologie benannt haben, und in diesem Sommer doch die tragischen Figuren waren. Als Tochter von Auswanderern hat Alec seit Jahren ein Stipendium an einer Elite-Schule und bewegt sich als Außenseiterin in dieser Welt voller Privilegien und Macht. Doch an ihren Freundinnen sieht sie, dass Geld längst nicht glücklich macht. Meg wird von einer alkoholkranken Mutter vernachlässigt, Tess von einem gewalttätigen Vater tyrannisiert. Währenddessen liegt der Sommer vor den Mädchen, eine Zeit voller Lebensfreude, Partys und der ersten großen Liebe. Es ist der Versuch der erwachsenen Protagonistin, ganz im Sinne des Sprichworts "Laugh in places you cried" die Geschichte umzuschreiben.

"Furye" ist ein sehr eindringlicher Roman. Passend zum Cover liegt der Sommer irgendwie über allem, und gleichzeitig liegen Tiefe und Dunkelheit darunter. Man sollte keine leichte Sommerunterhaltung erwarten, es geht um unerfüllte Wünsche und tiefe menschliche Abgründe, die alle mit diesem einen Sommer in Verbindung stehen. Die Geschichte handelt von Macht und Machtmissbrauch, Vertrauen, Verrat und Verlust. In einem Zeitstrang erleben wir die Protagonistin, die noch erwartungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft schaut, im zweiten Handlungsstrang erleben wir sie zwischen unerfüllten Wünschen und dem Verlangen nach Vergebung und Vergeltung. Die Atmosphäre ist eher düster als sommerlich. Auch wenn die Handlung zwischenzeitlich etwas zäh und langsam wirkte, hat sie mich weitgehend gepackt. Das Buch deutet Dinge geschickt an, die teilweise nie explizit erläutert werden und Raum für die eigene Deutung lassen. Die Unumkehrbarkeit der Ereignisse fühlt sich manchmal regelrecht erdrückend an und hebt dadurch die Bedeutung von Entscheidungen hervor, die schon in jungen Jahren von einem selbst oder von anderen getroffen werden. Dieser Roman verbindet viele große Themen geschickt, ohne sie alle auszudiskutieren. Auch wenn die Geschichte letzten Endes gut im Kontext der Mythologie interpretierbar ist, hätte ich mir dennoch ein wenig mehr Erläuterung gewünscht, wie die Mädchen darauf kamen, sich nach den Furien zu benennen, denn wirklich wütend oder "rasend" ist zunächst nur Meg.

Insgesamt ist "Furye" ein gelungener Roman, der gut zum Sommer passt, auch wenn er kein sommerlicher Unterhaltungsroman ist. Der Roman ist tiefgründig, düster und regt zum Nachdenken an, wobei man etliches selbst deuten und einige Längen in Kauf nehmen muss. Die Vielschichtigkeit und die Mühelosigkeit, mit der zahlreiche gesellschaftliche Themen angesprochen werden, haben mir jedoch gut gefallen, genauso wie der eingängige Schreibstil mit seinen zahlreichen Metaphern.