Irgendwann reden sie doch

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Joe Bausch, Regierungsmedizinaldirektor in der Justizvollzugsanstalt Werl, plaudert aus seinem Berufsleben. Bis zu fünfzig Patienten versorgt er täglich medizinisch. Sie alle verbindet eine langjährige Haftstrafe und ein breites Spektrum an krimineller Energie. Zwölf Fälle schildert er in einem zu Anfang für mich erst einmal gewöhnungsbedürftigen „Knastjargon“. Anders als der Klappentext jedoch vorgaukelt. Dort steht: „Sie alle vertrauen sich Joe Bausch an und lassen ihn tief in den Abgrund ihrer Seele blicken. Die besten dieser Geschichten hat er hier aufgeschrieben. Wahre Geschichten, die unter die Haut gehen.“ Joe Bausch stellt in seinem Prolog jedoch klar, dass er den Fokus nicht auf Einzelschicksale legt, sondern den Alltag in deutschen Gefängnissen schildert.

„Außergewöhnliche Begegnungen und die Geschichten die mir dabei erzählt wurden, oder Geschichten, von denen ich nebenbei erfuhr, inspirierten mich für dieses Buch. Die Idee, die interessantesten von ihnen zu anonymisieren, zu fiktionalisieren und weiterzuspinnen, trieb mich dabei an.“

Ich finde diese Darstellung hätte doch viel eher auf den Klappentext gehört, als das vorgeben „wahrer“ Geschichten.

Die zwölf Kapitel sind deswegen jedoch nicht minder lesenswert. Ganz großen Einfluss hat auch der unglaublich trockene Humor des Autors. Wirklich erschrocken war ich über Geschichte 5, als Angehörige eines medizinischen Berufstandes ist es mir absolut nicht fremd, wenn Patienten das Personal körperlich verletzten oder es zu mindestens versuchen. Ein ganz anderes Kaliber sind „schwere Jungs“ die dasselbe versuchen, im Knast. Ein gefährlicher Arbeitsplatz.

Es gibt jedoch auch Geschichten die einen zum Schmunzeln bringen, oder deren Verfilmung schon vor dem geistigen Auge abläuft. Hier wäre die Geschichte um die „alten Knochen“ zu nennen. Ich kann förmlich, Bruce Willis, John Malkovich und Tommy Lee Jones in den Hauptrollen sehen.

Professionell, distanziert, mit lockerem Ton, trotzdem spannend und ab und an musste ich auch sehr humorvoll.


Fazit: Absolut lesenswert, obwohl oder gerade weil es nicht wahre Geschichten sind.