Wenn Verurteilte eine Geschichte zu erzählen haben …

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wortschätzchen Avatar

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Joe Bausch, Gefängnisarzt und bekannt als Schauspieler im „Tatort“, erzählt hier die Geschichten der Gefängnisinsassen, die sie ihm im Laufe seiner Berufstätigkeit erzählten. Die Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch sind sie alle mehr oder weniger gleich – sie erzählen von zerstörten Leben. Dabei geht es nicht allein um die Krankengeschichten der Insassen, sondern viel mehr um das, was sie Bausch erzählen wollten: über ihr Leben, über ihre Straftaten.

Einige der Lebensbeichten haben mich bewegt, berührt, ich konnte sie fast verstehen. Andere dagegen waren einfach nur widerlich und abstoßend. Aber so ist das mit dem Verbrechen nun mal! Schön ist es nie. Joe Bausch wertet dabei nicht, er erzählt einfach nur von Anfang bis Ende. Das lässt dem Leser und dem Hörer die Freiheit, selbst zu entscheiden, was er davon halten soll.

Ganz sicher hat der eine oder andere Gefangene seine Geschichte ein wenig frisiert. Doch Bausch bringt auch Fakten aus seinem Wissen ein, die helfen, den Kern deutlicher herauszufiltern. Doch kalt lässt einem keine der Geschichten. Ob man nun auch Mitleid mit den Tätern hat oder nur mit den Opfern, immer gibt es etwas, das berührt und nachdenklich macht.

Es mag morbide sein, aber ich mag Sendungen wie „Medical Detectives“ sehr gern. Mich fasziniert, wie weit die Möglichkeiten heute sind, Tätern auf die Spur zu kommen. Joe Bausch erzählt im Grunde eine ähnliche Geschichte – immerhin sind die Täter ja hinter Gittern. Wie unschuldig kann ein Verurteilter sein? Gibt es das tatsächlich? Wie „wirksam“ ist eine Inhaftierung? Dient sie nur der Verhinderung neuer Straftaten oder werden Täter geläutert? Oder ist das Gegenteil der Fall und die Täter lernen im Knast noch dazu? All diese Fragen stellen sich immer wieder und werden zum Teil auch beantwortet. Und neue Fragen tauchen auf …!

Mir hat das Hörbuch sehr gefallen, wenn mir auch nicht alle 12 Geschichten gleich stark unter die Haut gingen. So ist eben das Leben! Ich gehe davon aus, dass ein Teil auch Fiktion (ob nun von Bausch oder den Verbrechern) ist, aber das kann ich akzeptieren. Bausch erzählt respektvoll und stellt niemanden bloß. Dafür meinen Respekt. Und fünf Sterne.