Kein Kriminalroman, aber absolut lesenswert

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mammutkeks Avatar

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Mit „Gefährliche Betrachtungen“ liegt ein wirklich schön gestaltetes und gut lesbares Buch vor einem – das Cover erinnert an ein Gemälde von Caspar David Friedrich – und dazu spielt einer der größten deutschen Literaten eine Hauptrolle. Einen Krimi jedoch habe ich nicht gelesen – dafür ein sprachlich außergewöhnliches Buch mit vielen historischen Anklängen.
Doch worum geht es? Der fiktive junge litauische Student und Übersetzer Zydrunas Miuleris hat ein großes Ziel: Er möchte „Die Buddenbrooks“ ins Litauische übersetzen. Um den Auftrag von Thomas Mann zu erhalten, reist er nach Nidden auf die Kuhrische Nehrung. Die Haupthandlung spielt 1930 – doch Zydrunas Miuleris, vom Literaten, den er kennenlernt, immer „Müller“ genannt, erinnert sich als 100jähriger in einigen Zwischenkapiteln an das Damals.
Durch einen Zufall gerät Miuleris an die Notizen Thomas Manns für seine berühmte Rede „Ein Appell an die Vernunft“, die der als unpolitisch geltende Literatur-Nobelpreisträger im Oktober 1930 in Berlin gehalten hat. Die Seiten sind nicht nur für Mann brisant, er hat Sorge, dass sie in falsche Hände geraten und seine Warnung vor dem Faschismus schon frühzeitig bekannt werden könnte.
Und dann geschieht genau das: Miuleris, der ein fotographisches Gedächtnis hat, fertigt eine Kopie der Rede an, die ihm allerdings am gleichen Abend im Wirtshaus abhanden kommt. Aus diesem Fakt entsteht der „Kriminalfall“, denn Mann und Müller/Miuleris machen sich auf, die Manuskriptseiten zu finden.
Dabei gibt es zwar typische Elemente eines Krimis, aber auch wenn es Raub, Erpressung und Totschlag gibt, ist es doch kein Krimi. Was die Lektüre nicht weniger gut macht – vielleicht hätte ich aber als Verlag auf die Bezeichnung „Kriminalroman“ verzichtet.
Ich habe das Buch als Hommage an Thomas Mann, an Nidden (litauisch Nida) und die Kuhrische Nehrung gelesen. Sprachlich sehr dicht und mit diversen Ausflügen in die – vielleicht gewöhnungsbedürftigen – Satzkonstruktionen eines Thomas Mann und seiner Zeit. Wer z.B. nutzt heute noch das Wort „beelenden“ (auch wenn „Word“ es nicht als Fehler unterkringelt).
Ein wirklich lesenswertes Schätzchen ist Tilo Eckhardt da gelungen – und durch das Nachwort und das Quellenverzeichnis werden die beschriebenen Szenen eingeordnet. Denn leider ist längst nicht alles an „Gefährliche Betrachtungen“ fiktiv – und leider gibt es einige sehr aktuelle Parallelen.