Der Santa-Klaus-Mord

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barbara62 Avatar

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Im Herbst 2016 erschien unter dem Titel „Geheimnis in Weiß“ von Joseph Jefferson Farjeon (1883 - 1955) ein klassischer englischer Kriminalroman aus dem Jahr 1937 erstmals beim Verlag Klett-Cotta auf Deutsch in einer wunderschönen flexiblen Leinenausgabe mit Lesebändchen. In gleicher Aufmachung und wieder an den Weihnachtstagen spielend, gibt es nun ein Jahr später erneut einen Krimiklassiker erstmals auf Deutsch: „Geheimnis in Rot“ von Mavis Doriel Hay aus dem Jahr 1936, der mir sogar noch eine Spur besser gefallen hat.



Gegen den Rat seiner Schwester Mildred hat Sir Osmond Melbury zum Weihnachtsfest 1935 wieder seine ganze Familie nach Flaxmere, dem gregorianischen Familiensitz aus dem 18. Jahrhundert in der Nähe von Bristol, beordert. Anwesend sind die fünf erwachsenen Kinder, eine Schwiegertochter, zwei Schwiegersöhne, der vom Vater abgelehnte Freund der jüngsten Tochter sowie der von ihm favorisierte Kandidat, die vor kurzem gegen eine jüngere, attraktive Haushälterin ausgetauschte und aus dem Haus verbannte Schwester des Familienoberhaupts, die ihm lange Jahre den Haushalt geführt und die Kinder versorgt hat, eben jene neue Haushälterin sowie diverse Enkel unterschiedlichen Alters. „Sie waren also alle da, fast alle mit einem guten Grund, Sir Osmond den Tod zu wünschen, wie wir später auf so unerfreuliche Weise feststellen mussten, und nur wenige mit einem Grund, ihm ein langes Leben zu wünschen“, notiert einer der Gäste später. Denn als alle fast schon aufatmen und es so aussieht, als ob alles gut verlaufen wäre, wird Sir Osmond, der wie immer so gekonnt eine Atmosphäre von Misstrauen, Unbehagen und Spannungen verbreitet hat, in seinem Arbeitszimmer erschossen aufgefunden. Colonel Halstock, ein alter Freund der Familie, nimmt mit seinen Untergebenen die Ermittlungen im Familien- und Bedienstetenkreis auf, eine schwierige Aufgabe, weil jeder irgendjemanden schützen oder irgendetwas verheimlichen will.



Mit Hilfe des glücklicherweise vorn und hinten im Buch abgedruckten Lageplans der Räume im Erdgeschoss von Flaxmere habe ich die Vernehmungen und Gedankengänge des Colonels verfolgt, bin mehrmals auf falsche Fährten gelockt worden und habe erst sehr spät die tatsächlichen Zusammenhänge durchschaut. Die solide Ermittlungsarbeit anstatt genialer Geistesblitze, ein Opfer, mit dem kaum jemand richtig Mitleid hat, die Erzählweise aus der Sicht verschiedener Anwesender und des Colonels sowie die Atmosphäre erzwungener Weihnachtsharmonie in einer Familie, in der man sich auseinandergelebt hat, sind die wohldurchdachten Zutaten zu diesem wunderbar englisch-altmodischen Krimi. Wie ein Schwarz-Weiß-Film lief das Geschehen vor meinen Augen ab und gipfelte im nachvollziehbaren Schlusssatz: „Bei den Melburys herrscht stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass es keine weihnachtlichen Familientreffen in Flaxmere mehr geben wird“.

Bleibt zu hoffen, dass der Verlag Klett Cotta auch 2018 wieder eine solche weihnachtliche Krimiperle präsentiert!