Geordnet ist anders

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mischka Avatar

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Als Faina zu Philipps Klasse stösst, findet der rothaarige Junge in dem ebenfalls rothaarigen Mädchen seine langersehnte beste Freundin. Die aus der Ukraine stammende Faina mit dem lustigen Akzent findet in der Fremde Anschluss, findet Heimat in einer Freundschaft, wo rundherum nichts Halt gibt. Weder Philipp noch Faina kommen aus stabilen familiären Verhältnissen. Philipp wohnt entweder mit seiner alkoholkranken, gewalttätigen Mutter, oder bei seiner religiösen Tante. Er kämpft mit Inkontinenz und heftigen Wutausbrüchen und entwickelt über die Jahre zwanghaftes Verhalten. Fainas Eltern sind in ihrer Erziehung streng und alles andere als liebevoll. Schulische Leistung wird als wertvollstes Gut angesehen und es Faina fügt sich mit Ehrgeiz und akademischen Plänen in die Wünsche der Eltern ein.

Mit gut gefüllten Rucksäcken an Trauma werden die zwei erwachsen, zerstreiten sich, finden wieder zusammen und können doch irgendwie nicht ohneeinander. Nach einer Phase der Trennung steht Faina Mitte zwanzig schwanger vor Philipps Tür und die Beziehung nimmt eine neue, unerwartete und brutale Wendung.

Während der gesamten Lektüre herrscht eine unglaublich beklemmende Stimmung. Man merkt, dass irgendwas noch gewaltig schieflaufen wird und wartet auf den Schlüsselmoment. Der Spannungsbogen ist straff und erst nach ca. Dreiviertel des Buches wird klar, in welche Richtung die Katastrophe geht. Lux zeichnet mit Faina und Philipp zwei extrem plastische, dreidimensionale Charaktere und es fällt schwer, ihre Persönlichkeiten in ihrer Ganzheit zu erfassen. Dadurch wirken die zwei menschlich und nah am Leben. Lana Lux packt total viele überaus aktuelle Themen in ihre neuste Geschichte: Migration, die Heimatfrage, Antisemitismus, Integration, Trauma, psychische Erkrankungen, häusliche und psychische Gewalt, toxische Beziehungen und schliesslich und endlich Femizid. Die Autorin schreibt sog artig und flüssig und so fällt es trotz unangenehmem Ziehen im Bauch ob der sich anbahnenden Katastrophe schwer, das Buch aus den Händen zu legen.

Mein Fazit: Trotz der gehaltvollen Themen empfehle ich das Buch definitiv weiter. «Geordnete Verhältnisse» ist ein aktuelles, tiefschürfendes Stück Jetzt, das definitiv zum Denken anregt. Was mir aber fehlt, ist eine Trigger Warnung im Vorwort oder Klappentext des Buches, weshalb ich einen Stern abziehe. Die Schilderungen von häuslicher und psychischer Gewalt sind äusserst explizit und betroffene Personen sollten vorgewarnt sein.