Schnell, abrupt und unversöhnlich

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»›Es war nur eine Backpfeife‹, sagt Philipp. ›Wenn du gesehen hättest, wie meine Mutter mich geschlagen hat, dann wüsstest du den Unterschied.‹«

In seiner Kindheit wünscht sich Philipp nichts sehnlicher, als einen besten Freund zu finden. Im Alter von zehn Jahren geht sein Wunsch endlich in Erfüllung. Faina, die mit ihren Eltern aus der Ukraine in die deutsche Kleinstadt gezogen ist, wird dieser »beste Freund«. Sie ist »die Neue« mit vermeintlichen Eigenarten (sie bringt ihre Jause zum Beispiel im Tetra Pak zur Schule) sowie akzentueller Aussprache mit grammatikalischen Fehlern – und sucht Anschluss. Schön ist es da, dass sich Philipp direkt um sie kümmert, auch wenn er häufig ihr Sprechen oder ihre Religion kritisiert. Beste Freund:innen halten so etwas aus, oder? Die Jahre ziehen ins Land, Faina und Philipp werden erwachsen. Der Junge mit den Wutausbrüchen, der Pflanzen lieber mag als Menschen, ist schwierig im Umgang. Das Mädchen will frei sein – von den Erwartungen ihrer Eltern sowie den Erwartungen einer Gesellschaft an sie als Frau und Mensch. Nach einem Streit verlieren sich die beiden aus den Augen. Jahre später ist Philipp der Typ mit Eigentumswohnung und fester Freundin, während Faina als verlassene, verschuldete Schwangere vor seiner Tür steht. Er lässt sie in seine Wohnung, sie ihn wieder in ihr Leben. Damit beginnt das Verderben …

Er sagt, sie sagt – Lana Lux zeigt in »Geordnete Verhältnisse« zwei Seiten einer modernen Tragödie. Erst kommt Philipp zu Wort, dann erzählt Faina. Im letzten Teil berichten beide Figuren abwechselnd aus der Ich-Perspektive. Dabei verschieben sich die Dynamiken. Gab es in den persönlichen Perspektiven immer noch die (vage) Möglichkeit von Missverständnissen, kindlichem Übermut und falschverstandener Fürsorge, klärt der letzte Abschnitt, die gemeinsam erzählte Geschichte, schonungslos über das Ausmaß dieser toxischen Verbindung auf. Das Lesen wird hier – wie schon in Lana Lux’ früheren Büchern – zur schmerzvoll physischen Erfahrung. Von außen ist schnell klar, wo sich diese Geschichte hinentwickelt [ich bleibe hier spoilerfrei und vage], und ich las wirklich gefesselt, blätterte mehrere Male zum Ende, überprüfte die Anzahl der verbleibenden Seiten, immer in der Hoffnung, dass es noch Potential dafür geben und sich meine Vermutungen als falsch herausstellen könnten. Aber natürlich verschont Lana Lux ihre Lesenden nicht, bleibt in der Realität, fernab einer Fantasie von ✨HAPPILY EVER AFTER✨.

Bei aller thematischen Schwere, habe ich »Geordnete Verhältnisse« aber doch gern gelesen. Lana Lux’ Stil ist absolut zugänglich. Sie schreibt klug und eloquent, weiß Dynamiken für den Spannungsbogen zu nutzen. Einzig das Ende kam für meinen Geschmack etwas zu abrupt. Anderseits enden solche Geschichten wahrscheinlich immer genau so – zu schnell, abrupt und unversöhnlich. Leseempfehlung!