Und wieder einmal weggeschaut

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aischa Avatar

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Die Geschichte beginnt so hoffnungsvoll: Zwei Außenseiter, beide rothaarig und voller Sommersprossen, werden als Grundschüler zu Freunden, unterstützen sich und führen als junge Erwachsene eine Liebesbeziehung. Doch wer genau hinsieht, kann schon früh Anzeichen dafür entdecken, dass die Beziehung der beiden nie auf Augenhöhe ist. Phillip wünscht sich zwar nichts sehnlicher, als endlich nicht mehr allein auf dem Pausenhof zu sein, und so kümmert er sich intensiv um die neue Mitschülerin Fiana, die frisch aus Russland zugezogen ist und zunächst auch niemanden an ihrer Seite hat. Doch Phillip ist nicht nur helfend, sondern auch extrem fordernd, er will seine neu gewonnene Freundin nach seinen Vorstellungen formen. Es kommt zum Bruch - und dennoch sucht Fiana in einer Notsituation nach Jahren ausgerechnet wieder bei Phillip Hilfe. Zwei verkrachte Existenzen, jede auf ihre Weise, versuchen erneut, sich gegenseitig zu stützen. Nach außen dringt von den Schwierigkeitn nur wenig, sie leben "in geordneten Verhältnissen", auch wenn die Beziehung hinter der Fassade alles andere als gesund ist.

Lana Lux erzählt die Geschichte zunächst aus Phillips, dann aus Fianas Sicht, und beide Protagonisten sind nicht die zuverlässigsten Zeugen ihrer eigenen Story. Man wirft als Leser*in unweigerlich im Fortgang der Handlung bereits gefasste Meinungen wieder über Bord, da neue Perspektiven völlig andere Interpretationen zulassen. Für mich ein erfrischend neuer Hinweis auf die abgedroschene, aber deswegen nicht weniger wahre Phrase, alles habe zwei Seiten. Nicht ganz glücklich bin ich mit dem Dritten Teil, der mit Fiana und Phillip überschrieben ist. Denn hier nutzt die Autorin zunehmend Fianas innere Monologe, um der Leserschaft etwas zu erklären, die gespreizte Gedankenwelt empfand ich oft als aufgesetzt, nicht authentisch. Das Befolgen der guten alten "Show, don´t tell"-Regel hätte dem hier Text gut getan.

Davon abgesehen ist der Roman sehr eingängig geschrieben, die Handlung steuert rasant und zunächst unterschwellig, schnell aber offensichtlich auf ein unheilvolles Finale zu. Lux analysiert, ohne jedoch zu viel zu bewerten oder gar Schuldzuschreibungen zu formulieren. Wenn überhaupt, dann gilt ihre Kritik nicht Einzelnen, sondern der Presse, die manchmal Verbrechen in eine Schublade steckt, ohne ausreichend zu recherchieren, sowie der Gesellschaft, die leider viel zu oft wegschaut. Also: Bitte lest das Buch und/oder kümmert euch um eure Freund*innen, Nachbarn und Kolleg*innen, fragt nach und hört zu!