Ein Geschenk an seine Leser

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Im November 2012 begann in Braunschweig das, was später “Das Wunder von Braunschweig” genannt werden sollte. Ein anonymer Spender beglückte soziale und karitative Einrichtungen mit großen Geldspenden, die stets in einem Umschlag mit einem hinweisenden Zeitungsausschnitt aufgefunden wurden. Daniel Glattauer ließ sich von der Aufsehen erregenden Spendenflut inspirieren und schuf einen spannenden und vor allem unglaublich gut erzählten Roman.

Glattauer legt den Handlungsort nach Wien und lässt den Journalisten Gerold Plassek erzählen, wie eine Serie von anonymen Geldspenden Schicksale positiv beeinflussen kann – nicht zuletzt sein eigenes. Zu Beginn erfährt Gerold, dass er neben seiner bei der Mutter lebenden Tochter auch Vater eines 14jährigen Sohnes ist. Natürlich nicht von derselben Frau. Manuel, der nichtsahnend fortan seine Nachmittage in Gerolds Büro verbringt, hält nicht viel von diesem Journalisten, der eigentlich nur seine Ruhe will und stets den Weg des geringsten Widerstands beschreitet. Als die Spendenflut beginnt und Gerold zunehmend mit Arbeit eingedeckt wird, wird Manuel zu seinem Assistenten. Zusammen schreiben sie Aufsehen erregende Sozialreportagen und stellen fest, dass sie als Vater-Sohn-Gespann unschlagbar sind.

Es sind zwei Geschichten, die hier erzählt werden. Da ist das Ereignis einer unfassbaren Welle von Wohltätigkeit, die eine immense Aufmerksamkeit nach sich zieht und zu Spekulationen, aber auch Gier und Missgunst führt. Hier hält Glattauer den Zeitungsmachern bei der Instrumentalisierung der uneigennützigen Spenden immer wieder einen Spiegel vor. “Ich fand es einfach nur enttäuschend, wie schnell eine so außergewöhnlich gute Sache, die allen Schutzbedürftigen in diesem System einmal ein kleines bisschen Hoffnung geben konnte, zum genauen Gegenteil pervertierte.” (S. 66) Aber auch das Buhlen der möglichen neuen Spendenempfänger um einen Platz in der Zeitung wird zum Teil humorvoll angesprochen.
Und dann ist da noch die Geschichte vom Wandel des Gerold Plassek. Einfühlsam und mit dem typisch trockenen Humor Glattauers erzählt, erfährt der Leser, wie Gerold durch seinen Sohn das Leben neu entdeckt. Dabei fehlt es nicht an selbstironischen Tönen, die den Journalisten dann trotz all seiner Fehler liebenswert machen.

Daniel Glattauer kann wunderbar erzählen. Seine Liebe zur Sprache, die intelligenten Wortspiele und das genaue Ausloten von passenden Worten faszinieren mich immer wieder und machen dieses Buch auf ein Neues zu einem Lesegenuss. Man hat manchmal geradezu den Eindruck, dass er ein Wort lange im Munde hin und her wälzt, bevor aus ausgesprochen werden kann. Auch mag ich den feinsinnigen Humor, der mich immer wieder schmunzeln lässt und der so manche Wahrheit wohltuend verpackt.

Das Fazit lass ich Daniel Glattauer mit Gerolds Worten selbst verfassen:

“_Es war wundervoll!_ Aber war _wundervoll_ wirklich der richtige Ausdruck? Das klang eher nach einem einmaligen Wunder, das sich nie wiederholen oder gar übertreffen ließ. _Wunderschön_ war vielleicht besser, denn _wunderschön_ hieß, dass es zwar schön wie ein Wunder war, was aber nicht bedeutete, dass es zwangsläufig bereits selbst ein Wunder war. Außerdem gab es mit _wunderwunderschön_ eine natürliche Steigerung fürs nächste Mal, während es _wunderwundervoll_ nicht gab. Also schrieb ich: _Es war wunderschön_. Plus zwei Ausrufungszeichen.” (S. 299)

 

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