Helfer in der Not

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karschtl Avatar

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Wer von Glattauer nicht nur die beiden Romane "Gut gegen Nordwind" und "Alle 7 Wellen" kennt, der erwartet von ihm auch nicht automatisch bei jedem neuen Roman eine erneute Liebeskomödie. Ich kann zwar durchaus die Rufe nach "Bitte wieder sowas wie über Leo und Emmi!", da ich beide Bücher auch sehr gern gelesen habe, aber im Grunde ist Glattauer doch eher einer, der vielmehr die Menschen an sich genau beobachtet und studiert, und dieses - oft in Form von Kolumnen - zu Papier bringt. So auch in seinem neuesten Roman "Geschenkt'" (der aber sogar eine sehr warmherzige, schüchterne Liebesgeschichte beinhaltet - wahrscheinlich hat Glattauer die lauten Rufe auch gehört und wollte sie irgendwie befriedigen. Ist ihm meiner Meinung nach auch gar nicht schlecht gelungen).

Am Anfang seiner Karriere arbeitete Glattauer, ähnlich wie sein Protagonist in "Geschenkt", bei einer Tageszeitung, u.a. als Gerichtsreporter und Kolumnist, und hörte mit dieser Tätigkeit erst mit dem Erscheinen von "Alle 7 Wellen" auf. Im Unterschied dazu hat Georg nicht so wirklich eine Karriere vor oder gar hinter sich, und - was viel bemerkenswerter ist - auch keinerlei Ambitionen dazu. Es scheint ihm fast Angst zu machen, dass nach mehreren Geldspenden als Reaktion auf seine Sozialmeldungen bzw. später Sozialreportagen er als großer Held dastehen soll und von seinem Arbeitgeber fast hofiert wird. Viel lieber wäre er mit seinem Bier in seinem Stammlokal oder zumindest auf der Couch, würde gerade so viel Geld verdienen damit es zum Leben reicht und hätte ansonsten seine Ruhe.

Gut, dass Georg in diesen Momenten Manuel an seiner Seite hat, der ihn immer wieder dazu motiviert, eine neue Story anzugehen. Manuel hat an seiner Rolle als Hilfsreporter viel Freude, und ist engagiert bei der Recherche. Georg hingegen rafft sich oft nur Manuel zu Liebe auf, aber genau so einen Antriebsmotor braucht Georg auch.

Die einzelnen Projekte, denen sich Georg und Manuel widmen, sind aus dem Leben gegriffen und all denen gönnt man auch die Geldzuwendung. Nur bei dem Kunstkurs habe ich mir gedacht, ob es nicht doch eine wichtigere Verwendung für das Geld gegeben hätte (aber es ist ja eh nur ein Buch).
Von den Ereignissen in Braunschweig, die Glattauer als Inspiration dienten, hatte ich bis dahin übrigens nichts gehört.

Den Buchtitel "Geschenkt" interpretiere ich wieder auf mehrere Arten. Zuerst einmal bekommen natürlich die Empfänger der Spenden etwas geschenkt. Zudem bekommt Georg einen Sohn geschenkt, und der im Gegenzug natürlich einen Vater und Schwester (was er beides natürlich so erst viel später erfährt). Beide, sowohl Georg als auch Manuel, bekommen vom Leben eine Perpektive geschenkt, sowohl in beruflicher Hinsicht als auch privat. Also Erfolg auf ganzer Linie, hach...

Der Erzählstil ist wie immer sehr lebensnah, echt, unterhaltend und immer mit einer Prise Humor der bis in den Sarkasmus geht. Super zu lesen. Normalerweise finde ich ja auch den Lokalkolorit schön, da ich selbst in Wien lebe. Aber irgendwann wurde es mir doch zu viel, wenn Glattauer zu jedem Lokal wo er sich mit jmd. trifft oder zu jedem im Roman vorkommenden Schauplatz die Straßennamen erwähnt. So etwas wäre mir in noch keinem anderen Roman aufgefallen, dass ständig erwähnt wird in welcher Straße sich dieses oder jenes Geschäft befindet. Man könnte vielleicht vermuten, Glattauer will die Leser nach Beendigung der Lektüre auf einen kleinen Spaziergang durch die Stadt einladen, wo alle Schauplätze 'besucht' werden können. Doch gibt es zwar die Straßen in Wien alle, aber die dazugehörigen Lokale oder sonstigen Geschäfte natürlich nicht! So gibt es in der Schleifmühlgasse, in deren unmittelbarer Nachbarschaft ich wohne, keine gratis Zahnklinik im Zehnerhaus. Erwartet man bei einem fiktionalen Roman natürlich auch nicht, künstlerische Freiheit muss schließlich sein, aber dann braucht er auch nicht immer und immer wieder die Straßennamen zu erwähnen.

Das wäre aber schon mein einziger wirklicher Kritikpunkt. Ansonsten ein schöner Roman, mit einer recht netten Auflösung am Ende.
Prädikat lesenswert!