Die Zukunft der Demokratie

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In Gesellschaftsspiel entwirft Dora Zwickau ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Ein Tech-Milliardär – klug, medienwirksam und visionär – beschließt, mit seinem Vermögen die Demokratie neu zu erfinden. Sein Projekt trägt den Namen „Syndicate“ und soll in der thüringischen Stadt Weimar erprobt werden – einem historisch und kulturell aufgeladenen Ort, der hier zur Kulisse eines politischen Feldversuchs wird.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Frauen: Isabelle, ihre Schwester Annika und deren Tante Dagmar. Sie alle leben in Weimar und erleben das „Syndicate“-Experiment auf sehr unterschiedliche Weise – als Beobachterinnen, Mitgestalterinnen oder Kritikerinnen. Ihre Perspektiven bilden das emotionale und erzählerische Zentrum des Romans. Zwickau gelingt es, ihre Lebensgeschichten mit psychologischer Tiefe und erzählerischer Nähe zu zeichnen – es sind keine Heldinnen, sondern glaubhafte Frauen mit Brüchen, Zweifeln und Hoffnungen.

Stilistisch überzeugt Gesellschaftsspiel vor allem in diesen Passagen über die drei Frauen. Der Erzählfluss ist ruhig, die Sprache präzise und einfühlsam. Zwischen diesen Abschnitten streut die Autorin immer wieder Kapitel ein, die aus Chats, Zeitungsartikeln oder Reden bestehen – ein moderner Kniff, der das Buch mit dokumentarischer Vielfalt anreichert, gelegentlich aber auch den Lesefluss stört und stilistisch etwas uneinheitlich wirkt.

Inhaltlich ist Gesellschaftsspiel als gut gemeinte Dystopie angelegt – kein drastisches Zukunftsszenario, sondern eine leise, realitätsnahe Kritik an bestehenden politischen Strukturen. Das Buch stellt wichtige Fragen: Wie reformierbar ist unsere Demokratie? Welche Rolle spielen Macht, Geld und Technologie in einer politischen Neuausrichtung? Und was bedeutet Mitbestimmung in einer durchdigitalisierten Gesellschaft?

Trotz dieser spannenden Ausgangslage bleibt der Roman in seinen Antworten oft vage. Das „Syndicate“-Modell wird angedeutet, aber nie ganz entfaltet. Viele Ideen wirken schwammig, es fehlt an konkreter Vision oder Systematik. Vielleicht ist das beabsichtigt – um die Offenheit der Zukunft zu spiegeln –, dennoch hätte man sich an manchen Stellen mehr Klarheit und Tiefe gewünscht.

Fazit: Gesellschaftsspiel ist ein vielschichtiger Roman über gesellschaftliche Utopien und persönliche Realitäten. Er überzeugt durch seine starken Figuren und die sensible Darstellung ihrer Lebenswege. Als politische Dystopie bleibt das Buch jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurück – es benennt die Probleme, skizziert Alternativen, lässt aber zu viele Fragen offen. Trotzdem: ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Debatte über Demokratie, Macht und Teilhabe.