Palantir in Thüringen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
martinabade Avatar

Von

In der vorablesen-Auswahl gibt es gerade auffallend viele Debuts. Immer ein Abenteuer, oft ein Wagnis, manchmal eine Entdeckung. In diesem Falle hier bin ich mir nicht ganz so sicher.

Erst einmal die Fakten. Dora Zwickau macht eigentlich irgendwas mit Social Media und Content und so. Sie lebt seit vielen Jahren auf der Britischen Insel, also in „splendid isolation“, was ja manches Mal nicht das Schlechteste ist. In „Gesellschaftsspiel“ versucht die Autorin zwei Handlungs- und Diskussionsstränge zusammenzubinden, die weiter entfernt voneinander nicht sein könnten.

Ich fange mal im Innersten, im Privaten an. Szenerie für die ganze Geschichte ist das heimelige und für die Deutschen bedeutungsbehängte Weimar an der Ilm. Mitten in Thüringen, wo manche Verdachtsfälle schon gar keine mehr sind. Isabelle, Lehrerin, und Annika sind Schwestern und haben sich schon lange nichts mehr zu sagen. Annika ist vor Jahren in die USA gegangen, ein Meer musste zwischen sie und die Sippe. Jetzt liegt die Mutter im Sterben und stirbt dann auch unspektakulär. Dieser Tod ist „nur“ der dramaturgische Tritt, den die Handlung braucht, um sich in Gang zu setzen. Als dritte Frau taucht noch Tante Dagmar, Mamas Schwester, auf.

Die drei beginnen holprig. Es entwickelt sich so ein „Wer hat es bisher in seinem Leben am Schwersten (gehabt)?“ – Wettbewerb. Doch der Krug geht nur so lange zum Brunnen bis er bricht, und ist er einmal gebrochen, lassen sich viele Dinge auch einfacher sagen. Den anderen und sich selbst. So, wie das Frauentrio langsam beginnt, Verständnis füreinander zu gewinnen, was ein hartes Stück Arbeit für jede der Drei ist, passieren in der Welt plötzlich befremdliche Dinge.

Ein ominöser, internationaler Tech-Milliardär publiziert seine Idee einer revolutionär neuen Gemeinschaft. Wer von uns ein bisschen auf der Höhe unserer Zeit ist, denkt sich: Och, eine Peter-Thiel -Figur?!? Dieser Mann will der Weltgesellschaft ein Update verpassen. Spielort für das Projekt eben ausgerechnet bei ihnen: in Weimar. Natürlich diskutieren auch die drei Frauen und vor allem Isabell ist mittendrin, denn sie involviert ihre Schulklasse in den Dialog. Die jungen Leute beteiligen sich rege und originell.

Hier bricht der Text formal auf. Textnachrichten mischen sich unter den fließenden Erzählstrom; Dialoge fügen sich ein, und die Leserschaft muss ein bisschen auf dem qui vive sein. Es entbrennt ein teilweise sehr spannende und vor allen Dingen sehr aktuelle Diskussion, die versucht, sich an den Kern der Frage vorzuarbeiten. Leider nur mit mäßigem Erfolg.

NDR Kultur sagt:“ ›Gesellschaftsspiel‹ ist nicht nur ein Roman über eine mögliche Zukunft, sondern ein kluger, genau beobachteter Roman über unsere Gegenwart.

Dora Zwickau schreibt: „Bei der Neuordnung der Gesellschaft darf es keine Denkverbote geben.“, eine von Isabells Schülern fragt: „Gibt es die Diktatur des Guten?“

So neu, so alt – so spannend, so redundant, so geschwätzig. Eine tolle Idee, ein packendes Szenario, aber leider eine vertane Chance. Schade!