Eine Geschichte ohne Helden

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ryria Avatar

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Ginsterburg ist eine fiktive Stadt in Deutschland, deren Bewohner wir auf drei Zeitebenen (1935, 1940, 1945) begleiten dürfen. Dabei fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass es so ähnlich auch in anderen Städten damals abgelaufen sein könnte - man erlebt eine fiktive Geschichte, die sich gleichzeitig sehr echt anfühlt.
Hierzu gehört auch, dass es keine wirklichen Helden gibt: Wir lernen eine Vielzahl von Charakteren kennen, begleiten ein paar davon ausführlicher durch die Jahre hinweg, aber eine wirkliche Verbindung konnte ich zu keinem aufbauen.

In diesem Sinne ist dies kein Buch für Leser, die gerne mitfiebern oder mitfühlen, vielmehr bekommt man einen ungeschönten Einblick in das damalige Leben.
Charaktere, die zunächst im Fokus stehen, verschwinden auch schnell wieder aus der Handlung oder sterben auch mal ganz nebenbei. Erwartete Konflikte oder Spannungen werden im Keim erstickt, Probleme werden gekonnt ignoriert. Die Gesellschaft verschließt die Augen, die Stadt versucht ihr "normales Leben" zu bewahren - und zeigt uns so eine wichtige Botschaft auch für unsere heutige Zeit auf.
Ich fand diesen Erzählstil einerseits echt interessant, gerade weil die Handlung ganz anders verlief als erwartet, andererseits hat mich das Buch dadurch zwischendurch auch immer wieder mal verloren, da ich mich mit manchen Charakteren und deren Perspektiven nicht wirklich anfreunden konnte.
Irgendwie passiert manchmal sehr viel und gar nichts zugleich.
Auch hätte ich mir ein Charakterverzeichnis und ein erläuterndes Nachwort gewünscht. So basiert beispielsweise Lothar auf einer echten Person, dies habe ich jedoch nur zufällig am Ende erfahren.

Schön war hingegen, dass die verwendete Sprache perfekt zur damaligen Zeit passt, das hat sehr authentisch gewirkt. Auch passt sich der Schreibstil an die gerade im Fokus stehende Person an, so werden z.B. die Sätze bei einem Schriftsteller komplizierter als bei einem Kind.
Dazwischen gibt es auch immer wieder andere Textsorten wie Gesetze, Lieder oder Briefe.
Auch die Stadt wird sehr ausführlich zu Beginn beschrieben und quasi vor dem inneren Auge zum Leben erweckt.
Manche Handlungsabschnitte fand ich ein wenig zu lang oder sogar ziemlich unnötig, andere hingegen waren erschreckend und interessant zugleich.
Insgesamt ein durchaus gelungener und authentischer Einblick in eine Kleinstadt zur damaligen Zeit.