Leseempfehlung

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Arno Franks Roman „Ginsterburg“ spielt in einer fiktiven Stadt, allerdings nicht in einer fiktiven Welt. Arno Frank begibt sich mit „Ginsterburg“ in die Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1935 und der Nachkriegszeit spielt der Roman.

Hauptfiguren in „Ginsterburg“ sind die durchschnittlichen Menschen. Diejenigen, die sich mehr oder weniger schnell mit dem neuen System arrangieren. Helden gibt es in dieser Stadt nicht. Es gibt keine Widerstandskämpfer, allenfalls Kriegshelden. Menschlich handeln sie, sympathisch geben sie sich dabei selten.

Otto Gürckel profitiert vielleicht am meisten vom neuen System. Der Gärtnerei-Besitzer wird zum Blumengroßhändler und zum NSDAP-Kreisleiter. Dass seine Frau ihn mit einer NS-Größe hintergeht, macht ihn nur wenig sympathischer, nimmt er sich doch immer wieder vor, ordentlich „aufzuräumen“. Merle, die ihren Sohn zunächst nicht zur HJ gehen lässt, arrangiert sich damit, dass er schließlich zum Piloten ausgebildet wird – und sogar die neuen Wunderwaffen der Nazis testen darf. Die NS-Propaganda hinterfragt sie immer weniger.

Die tragischste Figur ist vielleicht Eugen, der vom kritischen Journalisten zum Zeitungsherausgeber und zum Schreiberling von Göbbels wird. Bei ihm wundert einen die Rückgrat-Losigkeit mit am meisten. Die Möglichkeit, sich in beruflichem Erfolg zu suhlen, wiegt für ihn mehr als seine innere Überzeugung. Hier – und das ist auch gut so – macht Arno Frank keine großen Worte über das Aufgeben einstiger Ideale. Es geschieht einfach und bleibt letztlich schwer erklärbar.

Arno Frank geht es nicht darum, Helden zu erschaffen. Er zeigt mit „Ginsterburg“, wie alle mehr recht als schlecht im neuen System leben, sich arrangieren und unterordnen. Deshalb erzählt er aus ihrer Perspektive – wodurch diese im Roman häufig wechselt. Um die Verführbarkeit von Menschen geht es Frank nicht. Die setzt er voraus. Vielleicht ist der Name Ginsterburg kein Zufall – wächst Ginster doch an nährstoffarmen Stellen. Viel ist es nicht, was entstehen kann, wenn die Nährstoffe fehlen, ist vielleicht eine Lehre aus dem Roman. Schlechte Umstände setzen nichts Gutes frei.

Man könnte aber auch einen Schritt weiter gehen: Als der Prophet Elija nicht mehr konnte, legte er sich unter einen Ginsterbusch, um zu sterben. Und so sind auch die Figuren in Arno Franks Roman erschreckend lethargisch und zutiefst unpolitisch. Elija gibt sich geschlagen, will nichts mehr von seinem großen Auftrag wissen und verliert seinen Antrieb. Und so wirken auch die Gintersburger energie- und antriebslos. Freilich mit einem Unterschied: Elija wird von Gott durch Raben gerettet, während Ginsterburg untergeht, als böses Omen dienen dabei die Kraniche.

Überhaupt die Motive in diesem Buch! Sie sind es, die dieses Buch zu guter Literatur machen. Die Wahrsagerin gibt es da, die immer wieder im Laufe der Geschichte auftaucht, ebenso die Kraniche, die schon mit einem Schiller-Zitat dem Roman vorangestellt sind und dann, an der Front, sinnlos abgeschossen werden – aus Langeweile.