Die Zerstörung eines Dorfes

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sleepwalker1303 Avatar

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Die Wüstung Wollseifen und die ehemalige Ordensburg Vogelsang gehören zu meinen liebsten Ausflugszielen in der Eifel. Nirgends werde ich so nachdenklich wie dort, wo die Geschichte so greifbar ist. „Ginsterhöhe“ von Anna-Maria Caspari ist ein Roman basierend auf der wahren Geschichte des Ortes, erzählt anhand der Schicksale mehrerer dort lebender fiktiver Menschen. Ein bewegendes Buch, das stark nachhallt.
Aber von vorn.
1919 kommt Jungbauer Albert Lintermann als einer der letzten Heimkehrer aus dem 1. Weltkrieg zurück ins Eifeldorf Wollseifen. Der Krieg hat ihm neben seinem halben Gesicht auch seinen besten Freund, dem Schmied Hennes, genommen. „Sei froh, dass sie dich nicht im Sarg nach Hause gebracht haben. Alles andere richtet sich schon von selbst“, damit hält er sich aufrecht, als seine Frau Bertha sich bei seinem Anblick voller Entsetzen abwendet. Wichtig ist ja sowieso eher, dass er anpacken kann, wie früher und noch alle Gliedmaßen hat. Albert hat es nicht leicht, die steigende Inflation ist noch eines seiner geringsten Probleme. Sein Sohn Karl wird in der Schule gehänselt und im Ort werden Witze auf Alberts Kosten gemacht, weil er, der früher sehr gutaussehend war, nun so entstellt ist, „dass die Milch sauer wird“. Daher lässt er sich das Gesicht so gut wie möglich operativ wiederherstellen.
„Hier im Dorf kommt so langsam alles wieder in Tritt, und wenn man sieht, wie geschäftig alle ihrem Alltag nachgehen, sollte man beinahe meinen, das Kriegsgeschehen sei nur ein böser Traum gewesen“ schreibt der Lehrer Martin Faßbender. Und das stimmt. Das Leben geht weiter. Kinder werden geboren, andere werden beerdigt. Und dennoch zeigt sich, dass im Dorf ein neuer Wind weht. Denn schon bald zieht mit dem Gutsherren Johann Meller einer ein, der „nationalistischen Parolen“ schwingt und „ein bisschen zu viel von Rasse“ redet. Meller ist natürlich Feuer und Flamme, als direkt gegenüber von Wollseifen auf dem Erperscheid die „Nazi-Ordensburg“ Vogelsang gebaut werden soll und ein Flugplatz auf dem Walberhof geplant wird. Nach und nach greift das nationalsozialistische Gedankengut um sich, auch der Pastor malt sich die „Zukunft mit dem Bauvorhaben in leuchtenden Farben aus“.
Der Rest ist Geschichte. Die Alliierten beschießen Wollseifen in der Endphase des 2. Weltkrieges, Ende 1944/Anfang 1945 wird ein Großteil des Dorfes zerstört. Ende eines Traums. Ende eines Dorfes. Aber nicht das Ende der Geschichte. Gerade hatten die Bauern ihre Felder wieder bestellt, da mussten sie das Dorf innerhalb von zwei Wochen zum 1. September 1946 räumen. „Wir müssen uns fügen, dachte Albert bitter. Immer ist da jemand, dem wir gehorchen müssen“ - sie gehorchten in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr und wurden enttäuscht. Das Dorf und die Umgebung wurden zum Sperrgebiet erklärt und dann als Truppenübungsplatz genutzt, keiner der ursprünglichen Bewohner durfte zurückkehren. Heute kann man die Überreste besichtigen, die zerstörte Kirche und das Erdgeschoss der Schule wurden wieder aufgebaut.
„Ginsterhöhe“ ist nicht nur ein Buch über die Geschichte von Wollseifen und die Zeit des Nationalsozialismus. Es ist ein Buch über Generationenkonflikte, wo die jeweils Älteren die Jüngeren ausbremsen und die Jüngeren alles besser zu wissen glauben. Über Zeitenwandel, in vielerlei Hinsicht unruhige Zeiten, über Verblendung, verklärte Vorstellungen von Krieg und endgültig zerstörte Träume. Ein Buch, das inhaltlich und formal besticht. Es ist sprachlich ansprechend und punktet durch liebevoll ausgearbeitete Charaktere, anschauliche Landschaftsbeschreibungen und eine perfekt eingefangene Stimmung. Die linear erzählte Geschichte wird durch die Tagebucheinträge des Lehrers unterbrochen, der sehr sachlich und neutral Gedanken, Dorfgeschehen und Zeitgeschichte einordnet. Ein Buch, das als Warnung dienen sollte, wie heute noch Burg Vogelsang nahe am Dorf aufragt, „eine steinerne Mahnung an das, was passiert war.“ Für mich ein echtes Highlight, daher von mir fünf Sterne.