Portrait des Untergangs eines Dorfes

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marionhh Avatar

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Schwer versehrt an Leib und Seele kehrt Albert Lintermann nach dem Ersten Weltkrieg auf seinen Hof in Wollseifen in der Hocheifel zurück, den er zusammen mit seinen Eltern bewirtschaftet. Sein bester Freund ist gefallen, seine Frau reagiert mit Ekel und Ablehnung auf sein entstelltes Äußeres.
Trotzdem findet Albert nach und nach durch Arbeit und durch seine Freunde in die Dorfgemeinschaft zurück und bringt den Hof zu neuer Blüte. Doch dunkle Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, die Nationalsozialisten werden immer mächtiger und wählen schließlich ausgerechnet einen Ort ganz in der Nähe aus, wo sie ein Schulungszentrum errichten. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, nehmen die Alliierten die Region besonders ins Visier.

Die Geschichte des Dorfes Wollseifen, dem seine Nähe zum Reichsschulungszentrum Vogelsang zum Verhängnis wurde, wird hier grandios und schnörkellos erzählt. Die Autorin verbindet Familiengeschichte und Gesellschaftsroman und bettet sie ein in die historischen Ereignisse um das Dorf Wollseifen. Sehr strukturiert und manchmal regelrecht nüchtern beschreibt sie die Geschichte des Dorfes, versteht es aber außerordentlich gut, die Spannung unterschwellig und subtil aufzubauen. Die gelingt meines Erachtens vor allem mit den Einschüben des Tagebuchs des Lehrers Faßbender, der die Ereignisse emotional beschreibt und klug kommentiert. Der Leser erhält so einen intimeren, einfühlsameren Blick auf das Geschehen und die unterschwelligen Gefühle der Menschen als durch die mitunter eher sachliche Perspektive der eigentlichen Geschichte.

Formal ist die Erzählung in drei Teile gegliedert. Der erste beschreibt die Zeit nach Alberts Rückkehr, die trotz Rezession eine Zeit des Aufbaus und der Blüte ist. Im zweiten Teil kommen die Nationalsozialisten an die Macht und gewinnen auch immer mehr Einfluss im Dorf. Der dritte Teil schließlich beginnt mit dem Krieg und endet mit der Besieglung des Schicksals des Dorfes. Dabei stehen immer die Menschen im Dorf im Mittelpunkt, die eigentlich nur eines wollen: in Ruhe leben, arbeiten und ihre Kinder großziehen. Auffällig und beeindruckend ist der große Zusammenhalt, der sich durch alle Zeiten zieht. Mich begeisterten vor allem diese kleinen, alltäglichen Dinge, wie die für mich sehr authentischen Beschreibungen des dörflichen Alltags, der harten Arbeit, aber auch der Hilfsbereitschaft und der großen Bauernschläue, die die Bewohner immer eine Lösung finden lassen. Die Dorfbewohner beweisen auch, dass sich Tradition und Moderne keineswegs ausschließen. Auf der einen Seite sind sie traditionell, naturverbunden, gläubig, auf der anderen Seite treiben sie den Fortschritt voran, glauben an die modernen Errungenschaften wie Elektrizität und fließendes Wasser und haben sogar ein Kaufhaus. Für sie geht es immer weiter und es ist selbstverständlich, dass man einander hilft.

Das Buch lebt von den Beschreibungen der Dorfgemeinschaft und des Miteinanders, aber auch in großem Umfang von den einzelnen Charakteren, die vielschichtig und tiefgründig aufgebaut sind. Sicherlich gibt es auch Nebenfiguren, von denen manche nicht wieder auftauchen, andere hingegen treten in unterschiedlicher Gewichtung noch einmal ins Rampenlicht. Hauptfigur und Fokus der Geschichte ist Albert Lintermann, an dessen Figur man nicht nur die Traumata eines Menschen aufgezeigt bekommt, der im ersten Weltkrieg gekämpft und einen zweiten erleben muss, sondern an dem man auch sieht, wie jemand immer wieder Rückschläge erleidet und doch nie den Fleiß, die Hoffnung und die Fähigkeit zu lieben verliert. Viel zu lachen hat Albert wahrlich nicht, er ist auch insgesamt kein fröhlicher Mensch und unterdrückt Gefühle eher, doch wie er neuen Lebensmut schöpft und immer wieder neu beginnt, ließ mich intensiv mit ihm mitfühlen. Im Laufe der Zeit treten seine Gefühle auch immer mehr an die Oberfläche, und je mehr er sie zulässt, desto emotionaler wird der Erzählstil. Dies äußert sich besonders in den Passagen, wenn es um seine Kinder oder um Leni geht, aber auch um die sterbenden Gefühle für seine Frau Bertha, die mir nebenbei bemerkt mit ihrer Oberflächlichkeit und Wehleidigkeit ziemlich gegen den Strich ging. Andere starke Charaktere sind zum Beispiel Lenis Tochter Hildegard oder Marie Felten, deren Schicksal mich ebenfalls sehr berührt hat. Deren Geschichte wird unabhängig von Alberts in nebeneinander laufenden Handlungssträngen erzählt, ist aber gut eingebunden in die Hauptgeschichte und spannend im Kontext des Dorfes.

Fazit: Fesselnde Darstellung des Schicksals des Dorfes Wollseifens und seiner Bewohner, die durch tiefgründige Charaktere und Authentizität besticht. Besonders durch die einfühlsame Beschreibung der Schicksale des Einzelnen wird die Tragik greifbar und die Geschichte lebendig. Liest sich nicht einfach so herunter, sondern hallt nach und macht nachdenklich.