Vom Abturner… zum Pageturner

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mirjams Avatar

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Ingrid Olssen, jüngst verstorben, einst, gefeierte Künstlerin mit ebenso exzentrischem, wie selbstzerstörerischem Lebenswandel. Ihre kleinen Töchter Matilda und Nora, die in diesen Lebenswandel nicht hineinpassen wollen, ihn dennoch aushalten und überleben müssen, sich dabei jedoch schmerzlich voneinander entfernen. In ihrem Roman „Girls“ erzählt Kirsty Capes die ebenso dramatische, wie abstruse und gefühlvolle Geschichte dieser beiden Schwestern, die nach dem Tod ihrer Mutter gemeinsam zu einem Roadtrip aufbrechen, um den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen, sich anzunähern und selbst zu heilen.

Da ich sehr kunstinteressiert bin und selbst auch ein Liedchen von schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen und Kindheiten singen kann, habe ich mich richtiggehend auf dieses Buch gefreut. Und dann kam die Ernüchterung. Bis ungefähr zur Mitte des Buches habe ich keinerlei Zugang zur Geschichte oder den Protagonisten gefunden, was weniger am Schreibstil lag, als vielmehr daran, dass sie mich - trotz aller Dramatik - weder berührt, noch ansatzweise gefangen genommen oder interessiert hat. Mir hat irgendwie komplett der rote Faden gefehlt. Normalerweise passiert es mir wirklich selten, dass ich mich zum weiterlesen eines Buches zwingen muss, doch hier war es wirklich ein Kampf! Und dann kam ab der zweiten Hälfte der unerwartete Wandel, der mich das Buch plötzlich nicht mehr aus den Händen legen ließ. Dazu muss man wissen, dass die Story letztendlich aus zwei Teilen besteht. Teil 1 beschreibt die Protagonisten, sowie die Lebensumstände der Familie Olsen, sowohl jetzt, als auch in der Vergangenheit. In Teil 2 geht es dann los mit dem gemeinsamen Roadtrip durch die USA. Von da an, hatte ich auf einmal uneingeschränkten Zugang zu den „Girls“. Zugang zu ihrer schwierigen Kindheit, mit der ihnen widerfahrenen physischen und emotionalen Verwahrlosung. Zugang zu ihrem verworrenen, schwierigen und von (Selbst)Vorwürfen geprägten, Seelenleben und auch zu ihrer inneren Zerrissenheit. Ich lies alles nochmal Revue passieren und konnte ihre Wut, Trauer und den Wunsch nach Annäherung und „Genugtuung“ spüren und empfand auch die Darstellung des Kontrastes zwischen künstlerischem, beruflichem Erfolg und privatem, menschlichem bzw. mütterlichem Komplett-Versagen als sehr gelungen.

Fazit: Auch wenn mich das Buch nach rund zweihundert Seiten dann doch noch in seinen Bann gezogen und absolut ergriffen hat, kann ich natürlich meinen vorausgegangenen Kampf nicht vergessen und daher auch nicht außer Acht lassen. Daher gibt es nur 3 Sterne von mir. Trotzdem bin ich wahnsinnig froh, dass ich durchgehalten habe, denn Alles in Allem gesehen ist „girls“ ein absolut ergreifendes (wenn auch manchmal etwas verstörendes) und lesenswertes Buch, das sicher noch einige Zeit in mir nachhallen wird.